Als HBO "Game of Thrones" gepitcht wurde, hatten D.B. Weiss und David Benioff zunächst eine Wand der Verständnislosigkeit vor sich, die erst einmal durchbrochen werden musste. Die Showrunner mussten dem Network ein Genre schmackhaft machen, welches eigentlich nicht ins gängige Portfolio-Konzept passte. "Ich weiß, dass euch das verunsichert", soll Benioff während des Meetings gesagt haben. "Weil es Drachen gibt. Das ist nicht typisch HBO. Es geht aber vor allem um Macht – es ist wie Shakespeare." Und sie haben es geschafft. Sie haben grünes Licht für eine High-Budget-Fantasy-Serie bekommen, die das Fernsehen und das Denken ihrer Macher bekanntermaßen verändert hat. In diesem Jahr ging "Game of Thrones" mit Rekordzahlen zu Ende. Die Frage, die bereits vor dem Serienfinale gestellt wurde: Was wird das nächste "Game of Thrones"?

Das ebenfalls bei HBO ansässige "Westworld" hätte es werden können, wurde jedoch derart ambitioniert inszeniert, dass sich vor allem ein bestimmter Fankreis mit den rätselhaften Geschehnissen beschäftigen möchte- und nicht die absolut breite Masse. Viele weitere Produktionen stehen in ihren Startlöchern, wie beispielsweise HBOs "Watchmen" und "The Witcher" auf Netflix. Auf Amazon sind die Augen schon seit längerem gerichtet, da dort eine "Herr der Ringe"-Serie entsteht, die anscheinend über eine Milliarde Dollar Budget zur Verfügung hat. Das heute erscheinende "Carnival Row" mit Orlando Bloom und Cara Delevigne hätte die Wartezeit zur nächsten Tolkien-Verfilmung etwas eindampfen können – wenn die Fantasy-Erzählung über gejagte Fabelwesen denn gut geworden wäre.

Obwohl "Carnival Row" eine lange Entstehungsgeschichte hinter sich hat, kommt es einem schnell so vor, als ob die Serie exakt auf das ehemalige "Game of Thrones"-Publikum zugeschnitten werden sollte. So befinden wir uns hier einmal mehr vordergründig in einer Fantasy-Welt, in der der Hauptplot jedoch grundlegend in die echte Welt transportiert werden könnte: Als sich in der Stadt Burgue eine schreckliche Mordserie entwickelt, trifft Inspektor Rycroft Philostrate (Bloom) auf die geflüchtete Fee Vignette Stonemoss (Delevigne), mit der er vor sieben Jahren eine Liebesbeziehung pflegte. Damals wurden sie durch einen Krieg auseinandergetrieben, der zwischen Menschen und allerlei mythischen Kreaturen herrschte. Gewonnen wurde dieser von erstgenannter Partei, weshalb die Fabelwesen fortan ein unwürdiges Leben als Außenseiter und Migranten fristen müssen. Gesellschaftskritik, check.

Doch der moralische Zeigefinger ist nie das Problem. Eine Serie kann sehr wohl unterhalten und gleichzeitig eine Message in sich tragen, die übergreifende Relevanz beansprucht. Doch wenn es an der Unterhaltung hapert, verführen die zähen Dialoge noch weniger dazu, auf den Kern der Serie zu achten. "Carnival Row" will ein großes, wichtiges Universum aufbauen, in der Intrigen und Twists jedoch bei weitem nicht mit der Dramaturgie inszeniert wurden, wie man sie mittlerweile von anderen High-Budget-Fantasys kennt. Eine solche Serie vermittelt im ersten Eindruck auch nicht, dass politische Stellungnahmen zu Themen wie der Flüchtlingskrise vehement in den Vordergrund preschen. Das kann dann schonmal ein Downer sein, wenn man als Zuschauer ein Fantasy-Spektakel erwartet.

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Die beiden Schöpfer Travis Beacham ("Pacific Rim") und René Echevarria ("Star Trek: Deep Space Nine") haben jedoch intensiv an der Serie und ihrer Umsetzung gearbeitet. Jahrelang haben sie versucht, "Carnival Row" zum Leben zu erwecken, ehe es 2015 nach einem zunächst geplanten Kinofilm mit dem Titel "A Killing On Carnival Row" zu einer Serienbestellung durch Amazon kam. Vier Jahre zwischen eben jenem Moment und der Veröffentlichung sind nun vergangen und es kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass sich das Duo verbissen hat. Jedes Detail wurde anstrengend genau mit vergleichbaren Serien gemessen und dementsprechend angepasst, sodass die Zutaten zum vermeintlich nächsten Fantasy-Hit ordentlich zusammengerührt werden können. 

Würde man "Carnival Row" als Suppe bezeichnen, wird man schnell feststellen, warum sie nicht schmeckt. Der Herd wurde schlicht nie angemacht, die Suppe bleibt kalt. Trotz der ambitionierten Filmemacher Beacham und Echevarria, die bei "Carnival Row" verständlicherweise von ihrem "Baby" sprechen, fehlt die Leidenschaft eine gänzlich eigene Geschichte entstehen zu lassen und neue Dinge auszuprobieren. Denn: "Carnival Row" ist trotz seines fantasievollen und überaus schick gestalteten britisch-viktorianischen Settings überraschend normal geblieben. Der Fantasy-Rahmen wird zu keinem Zeitpunkt ausgereizt und auch sonst kam es in der ersten Staffel zu keiner Szene, die das Genre mit einem bleibenden Eindruck bereichert. Amazon hat jedoch längst eine zweite Staffel bestellt, weshalb sich das in der Zukunft noch ändern kann.

Um es nochmal deutlich zu machen: "Carnival Row" ist kein Flop. Diese Serie wird ihr Publikum finden, aber vor allem jenes, dass sowieso jeden Fantasy-Content aufsaugt. Die Kostüme wurden wunderbar ausgesucht, der Cast um den fantastischen Orlando Bloom und die hinreißende Cara Delevigne wirkt vollkommen engagiert. Sex gibt’s auch, für diejenigen, die's interessiert. Eine Menge. Doch die teilweise billig wirkenden VFX- und CGI-Effekte und eine träge Erzählweise, die Einsteins Meinung, dass Zeit relativ ist, absolut bestätigt, sorgen bei der breiten Zuschauermaße dafür, dass sie enttäuscht wegschalten wird. Das nächste "Game of Thrones" wird "Carnival Row" nicht.

Die erste Staffel von "Carnival Row" kann ab sofort bei Amazon Prime Video gestreamt werden.