"Another Life" wirkt wie eine Kapitulation. Während Netflix in den vergangenen Jahren viel gewagt hat und Geschichten erzählen wollte, die in ihrer Form noch nicht zuhauf existierten, ist der neueste Original-Streich eine komplette Aufgabe der Ambition. Um zu verdeutlichen, warum dies der Fall ist, erinnern Sie sich bitte an ihre Schulzeit: Jeder von uns hat Gruppenarbeiten erlebt, in denen exakt eine Person etwas gemacht hat, während die anderen damit beschäftigt waren, sich mit Papierkügelchen abzuschießen. Gleiches muss sich in der Produktion von "Another Life" abgespielt haben. Protagonistin Katee Sackhoff ("Longmire") ist in diesem Fall die Person, die mit ihrem Schauspiel vieles zu retten versucht. Die Autoren- und Designteams kritzelten in der Arbeitszeit zwar einiges auf ihren Schmierzettel, aber leider nichts, was eine gute Grundlage bilden könnte.

"Denkst du wirklich, dass ich zurück ins Weltall möchte?", fragt Astronautenkommandantin Niko (Sackhoff) ihren Ehemann Eric (Justin Chatwin, "Shameless"), als Aliens eine sonderbare Antenne auf der Erde platzieren. Eric ist Forscher und soll herauszufinden, was es mit dieser Sonde auf sich hat, die verdächtig viel Ähnlichkeit mit einem diamantbesetzten Kothaufen besitzt. Da er mit seiner Arbeit jedoch derart langsam vorankommt, möchte Niko die von der Alientechnologie entsendeten Signale selbst verfolgen, um Klarheit zu gewinnen und die Menschheit zu beschützen. Nicht nur Eric findet das falsch, sondern auch ihre kleine Tochter.

Emotionale Achterbahnfahrten schenkt man sich selbst in solch familienzerreissenden Momenten. Und das ist nur konsequent, wurde doch auch sonst nirgends versucht, eine Dramaturgie aufzubauen. Serienschöpfer Aaron Martin ("Killjoys") schaltet lieber in den unpersönlichen Schnelldurchlauf: Niko besetzt das Raumschiff, wacht nach knapp einem Monat Flugzeit viel zu früh auf, stößt auf die Holo-K.I. William und dann auf die restliche Crew, die einheitlich mit ihrer Mimik ausdrückt, wie unfassbar sie es finden, welche Dialoge sie aussprechen sollen. Es ist kaum vorzustellen, dass Sätze wie "Tu so, als ob du betrunken wärst – die Wände sind deine Freunde" keine internen Diskussionen ausgelöst haben. Jener Geniestreich eines Autoren wurde wohlgemerkt in einer ernsthaften Situation eingebaut, nicht in einer Stand-Up-Nummer.

Empfohlener externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Youtube, der den Artikel ergänzt. Sie können sich den Inhalt anzeigen lassen. Dabei können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

"Another Life" ist der Beweis dafür, dass es auch bei Netflix längst nicht mehr Standard ist, nur Außergewöhnliches zu erschaffen. Diese Sci-Fi-Schablone, die sich auf lustloseste Art verschiedener Klassiker bedient, genießt es nicht einmal das Geld einer Firma zu verbrennen, die eigentlich gar kein Geld zu verbrennen hat – das Budget soll sich immerhin im sechsstelligen Bereich pro Episode befunden haben. Bis auf die Darsteller, die stellenweise Motivationsschübe der Schadensbegrenzung mit sich bringen, schimmert vom Set-Design bis hin zur Kostümauswahl keinerlei Freude an der Materie durch. Aber nun gut: "Es gibt seit zehn Jahren keine Uniformen mehr – wie alt bist du?"

An solch einer seltenen Stelle ist immerhin etwas Selbstironie zu erblicken, als sich das älteste Besatzungsmitglied wundert, warum eigentlich jeder in Straßenkleidung durch das Raumschiff spaziert. Wenn die Kostüme so ausgesehen hätten, wie die in der Serie final eingesetzten Special-Effects, ist diese Entscheidung aber auch vollkommen in Ordnung. "Another Life" erinnert in grundfalscher Nostalgie an 90er-Jahre-Fernsehen, in denen Explosionen und Blitze lächerlich komisch visualisiert wurden. Getoppt wird dies nur von den einstudierten Martial-Arts-Kämpfen, die selbst einen liebenswürdigen Menschen wie Jackie Chan ausfällig werden lassen würden.

Wenn denn immerhin die Geschichte packend wäre. Sollten Sie jedoch mehr als ein paar Folgen in dieser überflüssigen Weltall-Mär überstehen, fängt selbst der Titel an, Sinn zu machen: Hier geht es um irgendein anderes Leben, irgendwo im Weltall, welches für irgendwelche Probleme sorgt, die schon unzählige Male besser geschildert wurden: Fremdkörper, die sich in eines der Crewmitglieder einnisten, ansteigendes, paranoides Verhalten und Defekte im Spaceshuttle, die in adrenalingeladener Manier behoben werden müssen. Es ist völlig egal, wie das Ganze ausgeht, da sich "Another Life" auf insgesamt zehn Folgen streckt und damit insgesamt acht Stunden ihrer Lebenszeit vernichten kann, sollten Sie wirklich auf die enttäuschenden Ergebnisse warten wollen. In Zukunft wird es wohl heißen: "Denkst du wirklich, dass ich bei einer Sci-Fi-Serie von Netflix mitschauen möchte?"

Die erste Staffel von "Another Life" steht bei Netflix ab sofort zum Streaming zur Verfügung