Millionen von Menschen kennen ihn und doch wird er auf der Straße nur äußerst selten um Selfies gebeten: Santiago Ziesmer, Synchronsprecher. Nachdem er als elfjähriger Junge auf der Straße von einem Fernsehregisseur entdeckt wurde, und seine Karriere als Schauspieler begonnen hatte, ist er heutzutage vor allem als Steve Buscemi, Matthew Broderick und SpongeBob Schwammkopf bekannt. Als Vertreter ihrer deutschen Stimmen mischt er im Synchronisationsgeschäft bereits seit Jahrzehnten mit und ist deshalb der ideale Gesprächspartner dafür, um den Beruf des Sprechers näher zu beleuchten. 

Herr Ziesmer, würden Sie sagen, dass es eine gewisse Portion Narzissmus braucht, um Schauspieler zu werden?

Das gehört bei diesem Beruf, in einem hoffentlich normalen Verhältnis, dazu. In diesem Job geht es darum sich zu präsentieren - da ist es unausweichlich, nicht etwas ichbezogen zu sein.

Wieso haben Sie sich dann dazu entschieden, ihr Gesicht zu verstecken und Synchronsprecher zu werden?

Auch hier gilt es, sich zu präsentieren. Der Fokus liegt zwar auf meiner Stimme, was aber nichts daran ändert, dass ich permanent für das Seherlebnis des Zuschauers zuständig bin. Die Stimme transportiert ebenso Emotionen, wie es die Gestik tut.

Sie haben ihre Karriere als Schauspieler angefangen. Kann dieser Beruf eher als handwerklich, oder doch als künstlerisch beschrieben werden?

In erster Linie ist er kreativ. Ich arbeite in Absprache mit dem Regisseur an einer Figur, die ich im Endeffekt selbst entwickeln muss. Natürlich hat der Regisseur seine Vorstellungen, die auf jeden Fall umgesetzt werden müssen. Jedoch hat er auch meistens ein offenes Ohr für die Vorschläge, die ich als Schauspieler zu bieten habe.

Nun stellt sich die Frage, wie es sich beim Beruf des Synchronsprechers verhält: Kunst oder Handwerk?

Ich sage mal so: Es ist eine hohe Kunst, fremdsprachigen Inhalt so zu formulieren, dass er im Deutschen auf den Mund gesetzt funktioniert. Da dies aber vor allem die Arbeit des Synchronregisseuren ist, würde ich tatsächlich behaupten, dass der Beruf des Synchronsprechers eher als Handwerk bezeichnet werden kann. Hier gilt nämlich nicht der Ansatz, eine komplett neue Figur zu erfinden, sondern sie bestmöglich so zu verkörpern, wie es sie in einem anderen Land schon einmal gegeben hat. Deswegen freue ich mich übrigens, der Sprecher von SpongeBob geworden zu sein: Bei Animationsfiguren ist der Entfaltungsspielraum deutlich größer.

Apropos "SpongeBob Schwammkopf": Sie sprechen den gelben Schwamm mit einer deutlich höheren Stimme, als Sie es im Alltag tun würden. Wie lange geht so etwas bei der Aufnahme, bis es weh tut?

Acht Stunden am Stück könnte ich das nicht machen, bis zu vier gehen aber in Ordnung. Die sogenannte Stimmcharge, die ich dafür einsetze, wird mit der Zeit trainiert, weshalb sich die Stimmbänder immer besser dran gewöhnen. Übrigens: Meine Stimme klingt genauso, wie sie das Publikum im Fernsehen zu hören bekommt. Da wird nichts nachbearbeitet.

SpongeBob Schwammkopf

Seit nunmehr 20 Jahren wird die deutsche "SpongeBob"-Stimme von Santiago Ziesmer inszeniert

Eine Synchronaufnahme kann recht anstrengend werden, wenn der Synchronregisseur immer wieder einen Grund findet, einen Take zu wiederholen. Wann fängt so etwas an zu nerven?

Es darf nicht nerven. Sollten Sie als Sprecher in das Gedankenspiel stolpern, dass der Synchronregisseur doch keine Ahnung hätte und er sich nicht so haben sollte, üben Sie ihren Beruf nicht richtig aus. Er hat Ahnung, von dem, was er sagt. Da muss man ihm dann auch vertrauen und dann eben daran arbeiten, genau das umzusetzen, was er verlangt. Ein guter Synchronregisseur hat aber auch ein Gefühl dafür, wie weit er bei einem Sprecher gehen kann und wann eine andere Szene zwischengeschoben werden muss, um mal wieder für ein Erfolgserlebnis zu sorgen. Dann wird der problematische Take einfach am Ende nochmal neu gemacht.

Werden schwierige Takes aber nicht zur doppelten Belastung, wenn sie Teil eines Dialogs sind?

Dieses Problem hat sich verschoben. Heutzutage werden Synchronsprecher kaum noch zum gleichen Zeitpunkt ins Tonstudio geholt – jeder liefert seine Takes auf einer gesonderten Tonspur ab. Dadurch können Takes beliebig eingesprochen werden, die Dialoge entstehen dann beim Mischen. Schade ist das in der Hinsicht, dass die Arbeit vor dem Mikro deshalb ohne Teamwork entstehen kann. Aus Kosten- und Planungsgründen ist das so gut wie Normalität.

Macht das ihren Job nicht immens schwieriger?

Als Sprecher kann man sich dadurch wie ein Autist fühlen. Wir hören unsere Kollegen nicht und müssen die Dialoge in unserem Kopf selbst nachempfinden und zusätzlich ein Gespür dafür entwickeln, wie der Gegenüber reagieren würde. Da haben es Schauspieler schlicht besser. Es gab mal ein tolles Interview mit dem Darsteller Gert Fröbe, der gefragt wurde, was bei seiner Arbeit das Wichtigste sei. "Zuhören", hat er geantwortet. Das stimmt. Als Mensch übernehmen Sie Töne und Sprachbögen. Wenn ich den Kollegen aber nicht hören kann, liegt die gesamte Verantwortung bei den Regisseuren, die schauen müssen, wie die Tonalitäten zusammenpassen. Ich bilde mir sogar ein, im Fernsehen raushören zu können, wenn Dialoge gesondert aufgenommen wurden.

Wie schaffen Sie es überhaupt, sich unter solchen Umständen in eine Rolle zu finden?

Ein Pianist, der immer seine Fingerübungen macht, setzt sich ans Klavier und weiß wies geht. Wir sind das gewöhnt und darauf trainiert, dass wir auch in solch einem Szenario arbeiten können. Das hat etwas mit Professionalität zu tun.

"Bei all der Kritik: Wir machen das schon super." 
  - Santiago Ziesmer

Kann in ihren Augen jedermann Synchronsprecher werden?

Wie wir rausgefunden habe, kann man diesen Beruf gut als Handwerk bezeichnen. Wie jedes Handwerk, kann auch dieses erlernt werden. Natürlich gibt es Menschen, die unterschiedlich begabt sind – üben kann aber jeder. Neben der Performance verhält es sich, wie bei der Schauspielerei, aber auch so, dass das nötige Quäntchen Glück vonnöten ist. Der richtige Zeitpunkt muss gefunden werden, um durch die richtige Tür zu gehen und die richtigen Menschen kennenzulernen.

Haben Sie schnelle Tipps für alle parat, die ihre Stimme schlicht für den Alltag verbessern möchten?

Es beginnt bereits vor dem Sprechen: Atmen will geübt sein. Die Stimme hört sich oft dann verzogen an, wenn zu wenig Luft in der Lunge ist. Eine vernünftige Atmung ist wichtig und nicht die Überzeugung, die Luft anhalten zu müssen, wenn gesprochen wird. Ebenfalls leicht zu beachten sind die Wortendungen. Diese sollten intensiv betont werden, damit die Wörter im Ganzen ausgesprochen werden und es nicht so klingt, als ob sie aus dem Mund 'fallen'.

Was halten Sie von der Behauptung, dass Synchronisationen das Seherlebnis zerstören?

Wir sind mit der deutschen Branche das Maß der Dinge. Ich kenne kein anderes Land, dass die Arbeit so perfekt umsetzt, wie wir. In Frankreich laufen viele Filme beispielsweise lediglich mit Untertiteln. In Spanien gibt es das sogenannte Overlay, wo gar nicht darauf geachtet wird, dass die Sprecher auf die Lippen des Originals artikulieren. Außerdem gibt es in Spanien gefühlt eine Frau, die alle weiblichen Rollen präsentiert. Bei all der Kritik: Wir machen das schon super.

Empfinden Sie denn genug Wertschätzung für ihren Beruf?

Das ist ein altes Thema. Eigentlich sind wir unterbezahlt, wenn man unsere Gehälter mit den der eigentlich Stars vergleicht. Zudem gab es mal den Trend, dass Promis für Synchronisationen angestellt wurden, damit mit ihren Namen auf den Plakaten geworben werden konnte. Es gab natürlich unfassbar hohe Gagen, was in meinen Augen nicht richtig ist. Es ist wie gesagt ein Handwerk, welches die meisten Prominenten nie gelernt haben. Wenn man dann seine eigenen Gagen sieht, kann der Gedanke aufkommen, dass auch innerhalb der Branche nicht immer die größte Wertschätzung herrscht.

Herr Ziesmer, vielen Dank für das Gespräch!