Bei der Mediengruppe RTL blieb personell im letzten Jahr kaum ein Stein auf dem Anderen - und so präsentierte sich also auch das Flaggschiff RTL mit einem neuen Chef. Jörg Graf, der Anfang des Jahres das Ruder von Frank Hoffmann übernommen hatte, stellte sich bei den Werbekunden so vor: "Ich bin davon überzeugt, dass RTL für Markenerhalt steht und wir in vielen Programmen verlässliche Umfelder bieten. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass wir Ihnen und den Zuschauern mehr Neues bieten müssen."

Der neue Akzent, den Jörg Graf im Vergleich zur jüngeren Vergangenheit setzt, lässt sich dabei vielleicht am besten unter dem Oberbegriff "Eventisierung" zusammenfassen, die sich in zahlreichen Genres zeigt. Am augenscheinlichsten ist der Strategie-Schwenk vielleicht im Bereich eigenproduzierter Fiction. Nach der Enttäuschung mit "Deutschland 83" war RTL hier zuletzt auf die Strategie verfallen, mehr mittelmäßige Masse statt Klasse zu produzieren, um einen "Mainstream" zu bedienen, den man damit allerdings auch eher schlecht als recht erreichte. Nun kündigt Graf an: "Wir werden unsere Fiction breiter aufstellen und auch besondere Serien erzählen, denn im riesigen Inhalte- und Serien-Angebot müssen wir auffallen und besser sichtbar sein."

Deutsche Fiction: Henning Baum und Faking Hitler

Sprich: Es gibt nun wieder den Mut zu ausgefalleneren Serien-Events. So arbeitet RTL gemeinsam mit TV Now gerade an der Serien-Umsetzung von "Faking Hitler". Unter diesem Titel hat der "Stern" in einem Podcast gerade nochmal die aberwitzige Geschichte über die gefälschten Hitler-Tagebücher mit Original-Tonaufnahmen der Telefonate zwischen Fälscher Kujau und dem "Stern"-Reporter" von damals aufbereitet. Nachdem es schonmal eine satirische Film-Umsetzung des Themas mit "Schtonk" gab, wagt sich UFA Fiction nun also an eine serielle Umsetzung. Nico Hofmann und Tommy Wosch stehen hinter dem Projekt. Das passt auch deshalb so gut in die neue Bertelsmann-Strategie, weil es ja die im Rahmen der "Content Alliance" angestrebten stärkeren Zusammenarbeit von Mediengruppe RTL und Gruner + Jahr zeigt.

Jörg Graf

RTL-Chef Jörg Graf bei der Vorstellung des Programms

Als neue "High-End-Dramaserie" wird zudem "Der König von Palma" angekündigt. Darin reist RTL zurück ins Jahr 1990 und erzählt, inspiriert von wahren Begebenheiten, vom Boom des Massentourismus auf Mallorca direkt nach dem Mauerfall. In der Hauptrolle ist Henning Baum zu sehen, der somit sein erstes großes Serienprojekt seit dem "Letzten Bullen" übernimmt. Die Drehbücher verantworten Veronica Priefer, Yves Hensel und Johannes Kunkel, der die Serie auch für UFA Fiction produziert. Schon bekannt war, dass im Frühjahr zudem noch die neue Sitcom "Schwester, Schwester - hier liegen sie richtig" mit Caroline Frier, Anna Julia Antonucci und Christian Tramitz gibt, dazu kommt auch noch eine neue Serie im Studenformat: "Lucie - geheult wid nicht". Die Hauptrolle der achtteiligen Dramedy von Headautor Nicholas Hause übernimmt Cristina do Rego.

Live-TV jenseits klassischer Show-Formate

Eventisierung strebt man zudem mit dem Ausbau von Live-Fernsehen an. Jörg Graf: "Wir wollen als Sender mutiger sein und Live-TV jenseits klassischer Show-Formate ausprobieren". Damit wolle man "die Stärke des linearen Fernsehens voll ausschöpfen". Für Ostern 2020 plant RTL etwa "Die Passion". Mitten im Zentrum einer deutschen Stadt sollen dafür bekannte Schauspieler und Sänger mithilfe deutscher Popsongs die Geschichte der letzten Stunden von Jesus Christus nacherzählen.

Etwas für die Hartgesotteneren ist "Operation Live": RTL will hier einen Eingriff am offenen Herzen live zeigen. Eingebettet wird das in einen Themantag, in dem RTL das Herz in den Mittelpunkt seiner Berichterstattung stellt. Im Herbst steht zudem noch ein anderer Themenschwerpunkt an: Nachhaltigkeit. Im Rahmen dessen gibt's auch eine neue zweistündige Ausgabe des "Jenke-Experiments", in dem sich Jenke von Wilmsdorff diesmal einem Selbstversuch zum Thema Plastik unterzieht.

Günther Jauch

Günther Jauch spielte mit Matthias Dang auf der Screenforce-Bühne "Wer wird Millionär?" und tritt bei RTL bald live gegen Zuschauer an.

Und dann hat man auch noch ein neues Live-Event mit Günther Jauch in petto. In "Bin ich schlauer als Günther Jauch?" sollen sich Zuschauer zuhause live mit dem Moderator messen. Nicht live bleibt hingegen weiterhin "Wer wird Millionär?", das im Herbst bereits seinen 20. Geburtstag feiert, den RTL auch mit einer besonderen Sendung begeht. Der Clou: Alle Fragen auf dem Weg zur Million wurden in der 20-jährigen Geschichte des Formats schon einmal gestellt.

RTL hat sich bei der Präsentation seiner Pläne für 2019/20 auf eine vergleichsweise überschaubare Anzahl neuer Formate beschränkt, verlor über eine so große Baustelle wie die Daytime erst gar kein Wort - aber zugleich hat Jörg Graf sehr deutlich gemacht, wohin er den Sender lenken will. Mehr Events um aufzufallen, mehr Live-Fernsehen, um die Zuschauer vors lineare Fernsehen zu locken - das klingt zumindest prinzipiell schlüssig.