Man kann ARD und ZDF wahrlich nicht vorwerfen, die Zuschauer im Vorfeld der Europawahl nicht umfassend informiert zu haben. Mit zahlreichen Debatten und Reportagen wurde die bevorstehende Wahl in den vergangenen Wochen aufgegriffen - allein: Das Interesse des Publikums hielt sich in Grenzen. Weniger als 1,7 Millionen Zuschauer zählte das TV-Duell zwischen den Spitzenkandidaten Frans Timmermanns und Manfred Weber im ZDF, einige Tage zuvor lockte auch die "Wahlarena" im Ersten kaum mehr als zwei Millionen Zuschauer vor den Fernseher. Die Quoten-Charts dominierten an diesen Abend andere Formate. Zum Vergleich: Das Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz erreichte 2017 mehr als 16 Millionen Menschen.

Selbst in der Wahlwoche blieb die Lust der Zuschauer auf die Europawahl verhalten, obwohl es keineswegs an Themen mangelt. Das "Gipfeltreffen Europa" mit den Parteichefs verzeichnete am Montagabend im Ersten nur 2,19 Millionen Zuschauer, einen Tag später versammelte "Wie geht's Europa?" im ZDF immerhin 2,37 Millionen vor dem Fernseher. Die dazu gehörige Dokumentation brachte es im Vorfeld nur auf 1,67 Millionen Zuschauer. Das Quoten-Fazit fällt also ernüchternd aus. Und doch äußern sich die Verantwortlichen bei ARD und ZDF keineswegs unzufrieden, wenn man sie mit den überschaubaren Zahlen konfrontiert. 

ZDF-Chefredakteur Peter Frey© ZDF/Laurence Chaperon
"Man sollte einen durchschnittlichen Zuschauerwert einer 90-minütigen Gesprächssendung nicht unterschätzen", sagt ZDF-Chefredakteur Peter Frey zu DWDL.de. "Viele schalten sich auch nur für 30 oder 45 Minuten ein. So dass ich davon ausgehe, dass wir in absoluten Zahlen deutlich mehr Menschen erreicht haben. Außerdem erfahren die Inhalte durch die weitere aktuelle Fernsehberichterstattung und die enorme Resonanz in den Onlinemedien eine weit größere Reichweite als die TV-Quote es ausdrückt." Allerdings sei anders als bei einem Kanzlerduell eben auch nicht zu 100 Prozent klar, wie viel Macht hinter europäischen Spitzenpositionen stecke. "Das schränkt das Interesse möglicherweise ein", so Frey.

"Die europäische Demokratie ist halbfertig"

Auf die Frage, wie es den Sendern besser gelingen kann, das Interesse der Zuschauer zu wecken, kontert der Chefredakteur mit einer Gegenfrage: "Würden wir denn überhaupt merken, dass Europawahlkampf ist, wenn ARD und ZDF nicht große Flächen für Sonderprogramme freiräumen würden?" Die Duelle seien dabei nur die auffälligsten Elemente. "Unser Schwerpunkt liegt in diesem Jahr bei Bürgerprogrammen, das heißt wir überprüfen und stellen dar, wie sich europäische Entscheidungen auf den Alltag der Menschen auswirken, was Europa hier erreicht, wo es aber auch noch Defizite gibt." Dazu gebe es mit Formaten wie "Mein erstes Mal", das auf die Sehgewohnheiten des "Youtube-Publikums" abgestimmt sei, so viele Online-Elementen zur Wahl wie noch nie. 

Jörg Schönenborn© WDR/Annika Fußwinkel
Zu einem ganz ähnlichen Schluss wie Peter Frey kommt auch WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn. "Natürlich wünsche ich mir für unsere Sendungen mehr Publikum", räumt er im Gespräch mit DWDL.de ein, "aber es gibt einen realen Grund dafür. Wir haben eine noch nicht vollständig entwickelte Demokratie in Europa." Als Wähler sei man bei der Europawahl "längst nicht so mündig wie bei der Bundestagswahl", weil man gar nicht wisse, ob man mit der eigenen Stimme wirklich über den Spitzenkandidaten entscheide. "Ich halte die Zuschauer und Wähler für sehr vernünftig – und die spüren, dass die Hauptentscheidungen nicht von Herrn Timmermanns oder Herrn Weber getroffen werden." 

Letztlich bilde die Einschaltquote ein Stück weit die politische Realität ab. "Die europäische Demokratie ist halbfertig und man sollte nicht so tun, als sei das Europäische Parlament so souverän wie es der Deutsche Bundestag ist", erklärt Schönenborn, der auch am kommenden Sonntag wieder die Prognosen und Hochrechnungen zur Europawahl und der parallel stattfindenden Bremen-Wahl im Ersten präsentieren wird. "Das ist Demokratie auf dem Weg." Deshalb könne man es auch umgekehrt sehen, so der WDR-Fernsehdirektor: "Wenn sich zwei Millionen Menschen dafür interessieren, ist es schön, dass es so viele politische Feinschmecker gibt."

Ein ausführliches Gespräch mit WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn lesen Sie in den kommenden Tagen bei DWDL.de.