Frau Eßmüller, das RTL-"Nachtjournal" sendet seit 25 Jahren. Welche Zuschauer haben Sie im Blick, wenn Sie die Sendung planen?

Es dürfte nicht so viele Leute geben, die sich extra für das "Nachtjournal" den Wecker stellen. (lacht) Daher geht es uns zunächst darum, die Zuschauer, die zu der späten Stunde wach sind, für unsere Themen zu interessieren. In aller Regel sind das Menschen, die sich tagsüber bereits informiert haben und zum Tagesabschluss noch einmal eine Zusammenfassung haben möchten. Unser Bestreben ist es daher, nicht nur die wichtigsten Fakten zu liefern, sondern auch hinter die Kulissen zu schauen. Wir wollen den Leuten mehr geben als die reine Nachricht.

Was können Sie machen, was andere Nachrichtensendungen nicht können?

Wir besitzen eine viel größere Freiheit als die Hauptnachrichten und können Schwerpunkte setzen. Unsere Beiträge sind länger, dadurch können wir mehr in die Tiefe gehen. Diesen Vorteil nutzen wir gerne. Gleichzeitig dürfen wir frech und pointiert sein beim Texten, beim Musikeinsatz oder beim Schnitt. Das ist auch wichtig, wenn man die Menschen um Mitternacht erreichen möchte.

ARD und ZDF haben kurz nach dem Start des "Nachtjournals" mit eigenen Nacht-Formaten nachgezogen. Sie haben trotzdem bis heute die höchsten Quoten am späten Abend. Was machen Sie besser?

Das Original ist doch fast immer besser als die, die es nachmachen. Allerdings hat sich das "Nachtjournal" mit der Zeit auch verändert. Wir setzen heute mehr denn je auf unsere eigenen Reporter und selbst recherchierte Geschichten. Es ist die Mischung aus ernsten und leichteren Themen, die bei unseren Zuschauern gut ankommt. Ein Kollege hat z.B. eine Reportage über Kinderehen in Deutschland gedreht, er hat das sehr junge Mädchen und den viel älteren Ehemann zu Hause getroffen. Kürzlich hatten wir ein Stück über einen südkoreanischen Wettbewerb im Chillen, was ja gewissermaßen ein Widerspruch in sich ist. So etwas gehen wir dann auch mal mit einem zwinkernden Auge an. Wir wollen unsere Zuschauer schließlich nicht mit Weltuntergangsstimmung ins Bett schicken.

Dennoch hat auch das "Nachtjournal" in den letzten Jahren einige Zuschauer verloren. Worauf führen Sie das zurück?

Der gesamte Fernsehmarkt zersplittert zunehmend. Das bekommen alle zu spüren, auch wir. Gerade in dieser Zeit ist es aber umso wichtiger, Stärke zu bewahren und Haltung zu zeigen, ohne das Publikum aus den Augen zu verlieren. Auch weiterhin werden wir komplizierte Themen herunterbrechen, den Finger in die Wunde legen und den Zuschauern erklären, worauf man achten sollte.

Sie haben zwei Kinder zu Hause. Macht die späte Sendezeit den Familienalltag eigentlich leichter oder schwerer?

Die schlafen zum Glück, wenn die Sendung läuft. (lacht) Für mich geht das alles bestens: Ich stehe mit den Kindern auf und nachmittags beginnt meine Arbeit.

Was hält Sie an langen Tagen wach?

Ich trinke sehr gerne Kaffee. Viel frische Luft und Wasser sind mir auch wichtig. Am wichtigsten bleibt aber das Interesse für den Inhalt. Deswegen ist es bei mir glücklicherweise in aller Regel so, dass ich wacher werde, je näher die Sendung kommt.

Praktisch, dass Sie das "Nachtjournal" moderieren und nicht mehr die Frühschiene, die Sie vor vielen Jahren schon mal präsentiert haben?

Ja, absolut. Das können bestimmt aber auch viele nachvollziehen: Lange aufbleiben ist leichter, als mitten in der Nacht aus dem Bett zu kommen.

Was hat Sie zum Journalismus gebracht?

Ich habe damit relativ spät angefangen – erst, als ich schon studiert habe. Ich hatte Freunde, die damals bei einer Zeitung mitgearbeitet haben. Das fand ich so spannend, dass ich mich für ein Praktikum bewarb, das ich dann auch bekommen habe. Dadurch konnte ich für eine kleine Zeitung die Artikel schreiben und selbst die Fotos machen. Später kam dann noch das Interesse am Bewegtbild dazu.

Sie waren zwischenzeitlich in Louisiana. Wie hat es Sie dorthin verschlagen?

Ich hatte vom Deutschen Akademischen Austauschdienst ein Stipendium bekommen und die haben mich nach Louisiana geschickt. Ich war schon nach dem Abi ein Jahr in L.A. und fand dann auch die Ostküste sehr interessant. Es hat ein wenig Eingewöhnungszeit gebraucht in den Südstaaten, aber es wurde ein sehr, sehr gutes Jahr.

Was haben Sie dort gelernt?

Ich habe meine journalistischen Aktivitäten komplett aufleben lassen können, war Teil der Uni-Zeitung und hatte einen Kurs bei einem ehemaligen Reporter des Weißen Hauses. Das hat mich als Studentin extrem beeindruckt. Nach der Zeitungsarbeit bin ich dann auch zum örtlichen Fernsehen gegangen und war mit den Reportern unterwegs. Nebenbei konnte ich meine ersten Geschichten machen. Die wurden zwar nie gesendet, haben mich aber unglaublich vorangebracht.

Wenn sie heute mit politischem Interesse in die USA schauen, was geht ihnen durch den Kopf?

Das Land ist extrem gespalten und manchmal bin ich schon erstaunt, wie sehr Trumps Anhänger bei bestimmten Äußerungen immer noch zu ihm halten. Das ist aber die Realität und mit der muss man umgehen – insbesondere wir Journalisten.

Auch in der amerikanischen Berichterstattung macht sich diese Spaltung deutlich. Sind Sie angesichts dessen froh, heute in Deutschland zu arbeiten?

Überhaupt bin ich froh, in Deutschland zu leben. Klar, nach dem Abi damals wollte ich am liebsten noch viel länger in Amerika bleiben. Dieses Land hat mich immer interessiert, ich habe ja nicht umsonst Amerikanistik studiert. Mit einigem Abstand sehe ich jetzt natürlich auch die Probleme.

Frau Eßmüller, vielen Dank für das Gespräch.