Ach weißer Mann, du arme Sau. Hunderte von Generationen hast du den Planeten beherrscht wie einst die Saurier. Berge, Täler, Weib und Tier, später gar Krankheit, Klima, Tod und Vernichtung – fast alles war dir ein volles Erdzeitalter lang so zu Diensten, dass du selbst hochbetagt weder Opposition noch Konkurrenz dulden musstest. Und jetzt, kaum 10.000 Jahre nach dem Beginn deiner Regentschaft, stehst du im Klo und pisst traurige Tropfen statt harter Fontänen? „Nun komm schon!“, raunzt ein verwittertes Exemplar sein altersschwaches Gemächt an und erntet auch noch in aller Öffentlich den Spott der eigenen Tochter fürs Blasendrama.

Man könnte glatt Mitleid kriegen mit Sandy Kominsky, wäre er nicht derart viele seiner 74 Jahre vor Kraft und Ego fast geplatzt! Vor allem aber: würde dieses fiktionale Prachtstück eines durch und durch destruktiven Geschlechts nicht von einem Darsteller verkörpert, der im Alter nur immer und immer noch besser und besser wird. Denn nachdem Amazon die Riege der Oscar-Sieger in TV-Produktionen erst vor zwei Wochen um Julia Roberts („Homecoming“) erweitert hat, steigt auch Michael Douglas vom Kino-Olymp in die Welt des Serienfernsehens hernieder. Und das ist, bei aller Zurückhaltung, zum Niederknien.

Mitte der Siebziger auf den „Straßen von San Franzisco“ zum Weltstar geworden, hatte der legendäre Sohn eines legendären Vaters den Bildschirm abgesehen von einem Cameo bei „Will & Grace“ gemieden. Nun spielt er die Titelrolle in der Netflix-Serie „The Kominsky Method“. Und nach Ansicht der ersten fünf von acht Folgen ist sein ebenso lebenssatter wie lebenshungriger, aber auch leicht lebenswunder Schauspiellehrer ein Glücksfall fürs alte, neue Medium. Schon wie er es betritt!

Minute 1, mattes Licht, Kellerclubatmosphäre: „Bevor wir anfangen zu arbeiten“, sagt er zum guten Dutzend Studenten im Seminar des Ex-Filmstars, „erzähle ich euch etwas übers Handwerk“. Messerscharf zerschneidet der Blick dieser Hollywoodikone als Hollywoodikone dabei den Klassenraum, ein cineastisches Raubtier auf Beutezug nach Respekt, Achtung, echten Gegnern. Abgesehen vom Faltengebirge in seinem Gesicht scheint also alles wie in seiner Glanzzeit der Achtziger, Neunzigerjahre, denen Douglas Banker, Ermittler, Amokläufer von imposanter Dominanz verpasst hat. Und dann beißt es auch noch zu wie damals: „Ein Schauspieler tut so als sei er Gott!“ Denn was tue der? Kominsky antwortet selbst: „Gott erschafft!“

So wuchtig führt der Showrunner ein archaisches Alphatier ein, das ein archaischeres Alphatier spielt. Doch da Chuck Lorre neben „Big Bang Theory“ auch „Two and a half Men“ erschaffen hat und damit zum Gott des Gelächters über männliche Selbstüberschätzung wurde, steht Michael Douglas‘ Kominsky später mit seinem Freund und Agenten Norman – noch greisenhafter gespielt vom noch älteren Alan Arkin („Catch 22“) – knietief im Selbstmitleid. Wie die Kinofossile bei Old-Fashion-Drinks in Old-Fashion-Bars Old-Fashion-Probleme diskutieren ist schlicht zum Niederknien – und liftet die Messlatte eines Old-Fashion-Formats, das gottlob mehr will, als zwei Pensionären in spe ein humoristisches Spätwerk zu schenken.

Vom ersten Moment an ist „The Kominsky Method“ nämlich eine bissige, pointenlos lustige, selten nostalgische Abrechnung mit dem Jugendwahn und wie man ihm im Alter einigermaßen würdevoll trotzt. Gemeinhin erliegen TV-Senioren ja entweder dem saftigen Spott der „Golden Girls“ oder öligen Herrenwitz des „Odd-Couples“. Diese alternden Leithammel hingegen macht der schleichende Bedeutungsverlust nicht zu Zynikern. Es sind Realisten, die den Urologen schon mal fragen, ob anstelle ihrer Prostata nicht doch der Arsch gewachsen sei und ihrer schwächelnden Libido skeptisch, statt mit einer Extraportion Viagra begegnen.

Resultat ist eine Sitcom, die zwar im saturierten Mainstream der letzten Weltkriegsgeneration spielt. Doch sie erzählt uns auch viel übers postheroische Digitalzeitalter: den ewigen Zwang zur Selbstvermarktung bis ins Grab, die Sprachlosigkeit im Dauergequassel sozialer Netzwerke, das Risiko, zwischen #MeToo und #MeTwo das Falsche, also Sexistische, Rassistische, Populistische zu sagen/machen/unterlassen. Wirklich gehaltvoll wird all das indes erst, weil den alten Männern jüngere Frauen zur Seite stehen, die ihr Bemühen um Reflexion sorgsam spiegeln: Normans exaltierte Tochter Phoebe (Lisa Edelstein), deren hochgeachtete Mutter Eileen (Susan Sullivan) bald verstirbt, während sich Sandys resolute Tochter Mindy (Sarah Baker) mit der Schauspielschülerin Lisa (Nancy Travis) verschwestert, die sich im Kurs (und Herz) ihres Vaters von einer gescheiterten Langzeitehe erholt.

Ergänzt um Gaststars von Danny DeVito bis Ann-Margret blickt dieses Sextett schonungslos, aber sanftmütig in die gekippte Alterspyramide, stellt jedoch niemanden darin bloß. Das macht „The Kominsky Method“ zur unterhaltsamen Prophylaxe der drohenden Mid- bis Endlifecrisis. Beipackzettel: Wenn man das Alter nimmt, wie es kommt, also eher tröpfchenweise als fontänenhart, wird es nicht nur erträglich, sondern echt lebenswert. Und wer könnte das besser verkörpern als der siegreiche Krebspatient Michael Douglas.