Herr Egan, wie weit sind Sie auf dem Weg vom TV-Nachrichtensender zur digitalen News-Plattform?

Das kommt ganz auf die Betrachtungsweise an. Unser international verbreiteter TV-Sender BBC World News ist 27 Jahre alt. Unsere News-Website BBC.com liegt mit 21 Jahren gar nicht so weit dahinter. Wir waren einer der ersten News-Broadcaster mit umfassendem Online-Angebot. Eine konsequente Mobil-Strategie mit Apps und responsiven Seiten verfolgen wir seit fünf Jahren. Was wir sicher etwas später als andere für uns entdeckt haben, ist Social Media. Aber darin sehe ich kein großes Problem. Dieses Jahr mussten ja manche News-Publisher leiden, weil sie sich zu eng an Facebook gebunden hatten. Wir nicht. Für uns steht die starke Brand auf den eigenen Plattformen immer im Vordergrund.

Und wie gehen Sie mit dem wachsenden Trend zu OTT-Angeboten um?

Wir haben uns stets mit dem Geschmack unseres Publikums und unserer Werbekunden gewandelt. Da schauen wir uns natürlich auch OTT genau an. Aber das ist noch ein ziemlich neues Feld. Wir erwirtschaften etwa 40 Prozent unseres Umsatzes mit klassischen Pay-TV-Distributionserlösen. Es wäre also unklug, einfach so über Nacht 'over-the-top' zu gehen, wenn es keinen wirtschaftlichen Sinn ergibt und das bestehende Pay-TV-Geschäft zerstören würde. Die Erlösstrategie muss klar sein, bevor wir einen solchen Schritt machen, und wir wollen die guten Beziehungen zu unseren Distributionspartnern beibehalten. Erste Erfahrungen sammeln wir gerade mit BBC News Japan, das wir dort gemeinsam mit Yahoo betreiben. Es ist das größte News-Portal Japans und gleichzeitig unser bislang größtes OTT-Angebot.

Sie haben in letzter Zeit eine Reihe neuer Angebote auf den Markt gebracht, etwa die Video-Plattform BBC Reel. Was wollen Sie damit erreichen?

BBC Reel ist unsere Antwort auf die steigende Nachfrage nach digitalem Shortform-Content. Wir bündeln hier vielfältige Factual-Inhalte aus dem Hause BBC jenseits der aktuellen Nachrichten, vor allem aus Kultur, Wissenschaft, Technologie oder Reisen. Das sind auch im linearen TV alles Felder, auf denen wir stark sind. Jetzt können die Nutzer zwei- bis fünfminütige Videos on demand auf BBC.com oder YouTube abrufen, außerdem eigene Playlisten anlegen und bestimmten Themen folgen. Die BBC-Reel-Redaktion ist mit genügend Budget und Personal ausgestattet, um neben der Zweitverwertung von TV-Inhalten auch Original-Videos produzieren zu lassen. Über 50 Autoren in rund 40 Ländern sind bereits beauftragt. Für uns ist dieser Schritt sowohl redaktionell als auch kommerziell bedeutsam, denn die Werbekunden verlangen ja überall nach mehr hochwertigem digitalem Video-Inventar.

Als Sie vorhin über Social Media sprachen, sind Sie verbal auf Distanz zu Facebook gegangen. Wie passt es dazu, dass Sie in den USA in Kürze ein wöchentliches News-Format für Facebook Watch produzieren werden?

Mir geht es keineswegs darum, auf Distanz zu Facebook zu gehen. Was ich vielmehr sagen wollte: Facebook ist zwar ein Teil unserer Strategie, aber eben nicht unsere komplette Strategie. Das sah bei anderen Publishern mitunter anders aus. Wir wissen aus Erfahrung, dass nicht alles bei Facebook ewigen Bestand hat. (lacht) Wir waren die Nummer 1 der News-Publisher beim alten Facebook Live – dann wurde das Angebot in dieser Form beendet. Man sollte sich also nie zu abhängig von einer einzigen Lösung und einem einzigen Anbieter machen. In unserem Verhältnis zu Facebook konzentrieren wir uns jetzt auf relevante Geschäftsmodelle. Das sind zum einen die Instant Articles, mit denen wir gutes Geld verdienen, und zum anderen das von Ihnen angesprochene Format "Cut Through the Noise", das wir in Washington, D.C. produzieren.

Was ist das Besondere daran?

Es ist das erste von Facebook Watch beauftragte und finanzierte News-Format, das von einem nicht-amerikanischen Publisher kommt. Für uns bedeutet das eine hervorragende Gelegenheit, neue Wege auszuprobieren, um unsere weltweiten, unparteiischen Qualitätsinhalte an ein vorwiegend Mobile- und Social-Media-orientiertes Publikum zu bringen. Wir werden jede Woche ein anderes Schwerpunktthema setzen und dabei auf unsere Vertical-Video- und Facebook-Live-Erfahrung zurückgreifen. "Cut Through the Noise" ist zunächst nur in Nordamerika zu sehen, wir wollen es später aber auch nach Europa holen.

"Entscheidend ist, dass wir den Anschluss an jüngere Generationen nicht verlieren"

Jim Egan, CEO, BBC Global News

 

Wie viel Kannibalisierung Ihres linearen TV-Programms nehmen Sie mit all den neuen Digital-Video-Angeboten in Kauf?

Das Allermeiste ist eher komplementär als kannibalisierend. Außerhalb Großbritanniens sind wir ein relativ kleiner Player, da lässt es sich viel leichter experimentieren. Entscheidend ist, dass wir den Anschluss an jüngere Generationen nicht verlieren. Das gelingt uns bislang recht gut. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch junge Menschen ein Bedürfnis nach seriösen Nachrichten haben – allerdings auf anderen Wegen und auf anderen Plattformen. Dort müssen wir präsent sein und unsere hohen journalistischen Standards modern und zeitgemäß umsetzen.

Apropos Standards: Sie haben gerade ein großes Projekt namens "#BeyondFakeNews" gestartet. Was hat es damit auf sich?

Rund um den Globus haben Menschen als Folge von gezielten Falschinformationen weniger Vertrauen in die Nachrichten. Dagegen wollen wir proaktiv vorgehen, aktuell etwa mit groß angelegten Medienkompetenz-Workshops in Indien und Kenia, mit Hackathons, die technische Lösungen ergründen sollen, und mit einem umfangreichen Programmschwerpunkt auf BBC World News, BBC World Service Radio und BBC.com. Bei den wichtigsten Wahlen weltweit setzen wir unseren "BBC Reality Check" ein, um Fake News möglichst frühzeitig zu entlarven. Das alles baut auf der Erfahrung der BBC auf, Falschinformationen in Großbritannien zu bekämpfen und Digitalkompetenz-Workshops in Schulen im ganzen Land auszurichten. Wir tun unser Bestes.

Herr Egan, herzlichen Dank für das Gespräch.