Als eine "Alles-wird-besser-Story über gemobbte dicke Mädchen und zu Unrecht des Missbrauchs beschuldigte Männer", stellt sich die neue Netflix-Dramedy "Insatiable" ihren Zuschauern vor. Worte, die von einigen Menschen bereits weit vor dem Serienstart als Schwachsinn abgestempelt wurden. Beinahe 230.000 Menschen haben mittlerweile eine vor drei Wochen auf change.org gestartete Petition unterschrieben, mit dem Ziel, dieses angebliche Body-Shaming gar nicht erst publik werden zu lassen. Florence Given hat diese Aktion ins Leben gerufen, weil sie sich sicher ist, dass "Insatiable" Essstörungen verursachen und die Objektifizierung von Frauenkörpern dadurch weiter wachsen wird.

Der Auslöser für diese Empörung war der knapp zwei Minuten lange Trailer: Hauptfigur Patty (Debby Ryan) wird darin wegen ihres Übergewichts gemobbt. Sie kann auch nicht behaupten, glücklich mit sich selbst zu sein. Durch ein skurriles Aufeinandertreffen mit einem Obdachlosen, der ihren Schokoriegel möchte, wird ihr Kiefer gebrochen. Patty hat damit drei Monate Sommerferien vor sich, die sie vor allem mit Flüssignahrung verbringen darf. "Was soll ich sagen? Diese Geschichte ist der Wahnsinn", fasst sie selbst zusammen. Und so kehrt sie als schlankes Mädchen zurück an ihre alte Schule, um zu merken, dass sie plötzlich alle toll finden.

Damit war der Grundstein für die Echauffierung gelegt. Doch ist die Serie nun tatsächlich so schlimm wie Florence Given befürchtete? Heute, da die Serie vollständig auf Netflix verfügbar ist, lässt sich sagen: Sie hat sich teilweise geirrt. In der Serie wird nämlich längst nicht nur eine Randgruppe gemobbt. Tatsächlich treten die Figuren in beinahe jedes Fettnäpfchen, das sich ihnen in den Weg stellt. Das geht manchmal mit einem Augenzwinkern aus, viel öfter jedoch mit Momenten völliger Fremdscham, die sich am Ende mit der Ausrede einer Überspitzung retten wollen. Nein, "Insatiable" stürzt so schnell niemanden in eine Essstörung. Die Dramedy sorgt vielmehr für eine allgemeine Sinnesstörung.

Eines der größten Probleme liegt darin, dass sich Showrunnerin Lauren Gussis in eine Welt geflüchtet hat, die nur sie selbst und wenige andere Menschen verstehen und lustig finden werden. Auf die Petitions-Kritik entgegnete sie zwar, dass sie selbst genug Erfahrungen mit Essstörungen habe und früher selbst in der Schule gemieden worden sei. Doch verhält sie sich nach ihren eigenen Mobbing-Erlebnissen deutlich zu unsensibel, um ihr Wissen hilfreich an andere Menschen weitergeben zu können. "Du könntest zu einem Vorbild für Mädchen mit Übergewicht werden!", wird Patty nach ihrem Körperwandel eingetrichtert. Doch ein Mädchen, das durch einen Kieferbruch zu Normalgewicht gekommen ist, kann genauso wenig als Vorbildfunktion für gemobbte Menschen mit Übergewicht gesehen werden, wie eine Showrunnerin, die wichtige, gesellschaftliche Themen mit plumpen Humor zugänglich machen möchte.

Abgesehen von dem Hauptthema, das "Insatiable" bereits im Vorfeld bekannt werden ließ, besticht die Dramedy vor allem mit einer Über-Inszenierung, die selbst bei “Unbreakable Kimmy Schmidt”-Fans für Kopfschmerzen sorgen wird. Bis auf eine Ausnahme ist der Cast schrecklich unsympathisch, was nicht nur an den talentfreien Mimiken liegt, sondern vor allem am Drehbuch, mit dem die Darsteller arbeiten mussten. Am laufenden Band werden relevante Themen wie Homophobie, Einzelgänger-Dasein oder Geschlechtervorteile angeteast, nur um sie mit einem witzig gemeinten Spruch wieder ins Aus zu befördern. Danach geht die Story locker-flockig weiter. 

Beispiel: Eine Schöhnheitskönigin-Anwärterin wird in der letzten Runde gefragt, was sie von ISIS hält. "ISIS? Italienische Eissorten?", fragt sie leicht zweifelnd. Der erste Brüller. Nachdem sie dann merkt, dass sie nicht ganz richtig geantwortet und ihren Sieg somit verspielt hat, mischt sich ihre motivierte Mutter ein und zeigt mit dem Finger auf einen Mann: "Sie war verwirrt, er hat ihre Mumu angefasst!". Der zweite Brüller. Wenn Sie an dieser Stelle gemerkt haben, dass sie zwei Mal weniger lachen mussten als angekündigt, dann werden Sie auch den Rest von "Insatiable" nicht genießen können.

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Der Mann, auf den in dieser Szene gedeutet wird, ist Bob. Die von Dallas Roberts (“The Good Wife”) verkörperte Figur bildet die erwähnte Ausnahme im Cast, die jegliche vorhandene Qualität in dieser Serie um sich versammelt. Roberts ist mit Abstand der beste Schauspieler vor Ort und trägt gleichzeitig auch insgeheim die wahre Hauptrolle inne. In “Insatiable” führt er die Firma "Armstrong & Armstrong". Der erste Teil steht für seine Tätigkeiten als Anwalt. Der zweite Teil für sein Wirken als Schönheitsköniginnen-Coach. Nachdem er der Vergewaltigung bezichtigt wurde, steht es aber nicht gut um seine Credibility, weshalb er kaum noch Aufträge reinbekommt – bis er auf die erschlankte Patty trifft. Er ist derjenige, der ihr einen der wenigen wahren Sätze, die in dieser Serie existieren, mit auf den Weg gibt: "Die beste Rache ist ein gutes Leben zu führen."

Patty freut sich nämlich nicht nur über ihr neues Aussehen, sondern schwört sofort Rache an all denjenigen auszuüben, die sie früher ausgelacht und gemobbt haben. Dafür macht sie beispielsweise mit dem schüchternen Tankstellenverkäufer rum, um ihn auszunutzen, und übergießt den kieferbrechenden Obdachlosen mit Alkohol, um ihn anschließend anzünden zu wollen. "Fatty Patty" konnte nie für sich selbst einstehen, schlank geht es dann plötzlich. Nicht unbedingt das Bild, das Menschen mit Gewichtsproblemen brauchen. Damit soll jedoch nicht gesagt werden, dass "Insatiable" ein großes Fat-Shaming-Problem in die Welt trägt. Es ist prinzipiell nicht verkehrt zu sagen, dass es das eigene Selbstbewusstsein nach vorne bringen kann, wenn man sich und seinen Körper in Schwung bringt und an seiner Gesundheit arbeitet. Vor allem nicht dann, wenn man sich mit Pattys unzufriedenem Charakter identifizieren kann.    

Doch Netflix geht es hier gar nicht darum, das Leiden von Mobbing-Opfern zu thematisieren. Dies stellt lediglich die Grundlage dafür dar, um Zuschauer, die auf der Suche nach positiven Einflüssen, Weisheiten und Vorbildern sind, in eine Comedy zu locken, die keine Lacher parat hat. Tatsächlich ist es schwer zu sagen, was "Insatiable" überhaupt ist. Relevant fürs Programm auf jeden Fall nicht. 

Auf Netflix steht die zwölfteilige erste Staffel von "Insatiable" ab sofort zum Abruf bereit.