Als Liam Neeson 2008 in “96 Hours” zum ersten Mal seine entführte Tochter retten musste, zeigte er der ganzen Welt, wie ein perfekter Vater in solch einer Situation auszusehen hat. Als Geheimagent hatte er dafür auch die notwendigen Skills: Scharfsinnigkeit, Entschlossenheit und die Beherrschung so mancher Kampffertigkeit. Nelson Rowe besitzt so gut wie nichts davon, steht in der neuen Sky-Serie “Save Me” jedoch dem gleichen Problem gegenüber: Seine Tochter, die er seit 10 Jahren nicht mehr gesehen hat, wird entführt. Als Hauptverdächtiger gilt er selbst, weshalb er sich zunächst aus purer Eigenmotivation darum bemüht, sie wiederzufinden.

Der von Lennie James (“The Walking Dead”) gespielte “Nelly” Rowe begibt sich damit nicht nur auf eine Reise, die seine Unschuld beweisen soll. Auf seiner Suche wird ihm auch immer wieder sein verantwortungsloses Verhalten aus der Vergangenheit vor Augen geführt. Tatsächlich ist “Save Me” die Version von “96 Hours”, in der der suchende Vater keine Spezialausbildung genossen hat, sondern ein einfacher Mann aus der Nachbarschaft ist. Wie der Asi-Nachbar, dem nur ungerne Milch geliehen wird, wenn er an die Tür klopft. Er trinkt seinen Kaffee morgens mit einem ordentlichen Schuss, lässt seine Womanizer-Qualitäten trotz Freundin immer wieder spielen und stürzt sich regelmäßig in hitzige Diskussionen im Pub um die Ecke.

Sein zu Hause nennt er ein ärmeres Viertel im Süd-Osten Londons. Dabei ergänzen sich er und sein Stadtteil nur zu gut. Beide sehen so aus, als ob sie bessere Zeiten vertragen könnten. Wie ein metaphorischer Hoffnungsschimmer, der andeutet, dass es bald soweit sein könnte, trägt Nelly mit Beginn seiner Suche eine knallgelbe Winterjacke. Lennie James, der neben seiner Hauptrolle auch die Rolle des Autoren einnimmt, hat damit inmitten des grauen Londons nicht nur ein schönes Bild gezeichnet. Er hat damit auch gezeigt, wie leicht einer Figur ein Markenzeichen verpasst werden kann. Gut, dass es keine gelbe Regenjacke geworden ist. Die hat bekanntlich schon “Dark” für sich beansprucht.

Die Kleiderwahl liegt auf der Liste der richtigen Showrunner-Entscheidungen dennoch weiter hinten. Viel beeindruckender ist die Konsequenz, mit der James und Regisseur Nick Murphy ("The Last Kingdom") ihr kantiges London-Pub-Feeling durchgezogen haben. Zum einen haben wir da besagten Nelson Rowe, der mit seinem einnehmenden Charakter die Serie beinahe alleine stemmt. Wie Walter White in “Breaking Bad” oder Al Swearingen in “Deadwood”, ist er ein Typ, der mit seiner Präsenz einen ganzen Saal einnehmen kann. Der Grund dafür ist beinahe simpel: Er verkörpert auf der einen Seite das, was wir als Zuschauer auch selbst fühlen und für nachvollziehbar erachten. Auf der anderen Seite ist er aber auch der Bad Boy, den viele nicht ausleben, aber faszinierend finden.

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Um die Serie rundum britisch zu inszenieren, hat sich James Stephen Graham ins Boot geholt. Ob in “This Is England”, “Dame, König, As, Spion” oder zuletzt bei Tom Hardys Serie “Taboo” - er bringt stets das schwarzhumorige Mundwerk mit, welches Projekte aus dem Vereinigten Königreich gebrauchen können. Etwas düsterer wird es aber bei “Save Me”: Mit seinem Charakter Melon verkörpert er einen verurteilten Pädophilen. “Save Me” urteilt jedoch nicht nur, sondern möchte auch ergründen und zeigt, wie ein solcher Mensch das Leben bestreitet und was er dabei fühlt. Fans der James-Graham-Kombo dürfen sich außerdem darauf freuen, dass die Kooperation nicht bei der ersten, sechsteiligen Staffel bleibt. Sky bestätigte bereits eine zweite Staffel. Auch in Hinsicht auf das dramatische Staffelfinale, dessen Cliffhanger eine Fortsetzung so gut wie unausweichlich machte. Gedreht werden soll ab Anfang 2019.

Doch nicht alles in “Save Me” und Nellys Welt frönt der Negativität. Zu einer verschwundenen Tochter gehört nämlich nicht nur ein Vater, sondern auch eine Mutter. Diese wird von Suranne Jones (“Doktor Foster”) gespielt und ist seit dem Techtelmechtel, das sie vor 14 Jahren mit Nelly hatte, kein Teil der Pub-Kultur mehr gewesen. Doch auch sie schließt sich der Suche an und verbringt mit ihrem Ex so genug Zeit, um in ihre alte Welt gezogen zu werden - betrunkenes Karaoke und Outdoor-Sex inklusive. So gibt es inmitten einer schier ausweglosen Entführungsgeschichte also auch einen Funken Liebe, der der Serie mehr als gut tut.

Das bereits angesprochene dramatische Finale überzeugt mit der harten Linie, die von Anfang an durchgezogen wurde. Viele Twists, die zum Ende aufgedeckt werden, zählen jedoch nicht zu den Stärken der Serie. Das ist aber überraschend egal, ist der Zuschauer bis dahin schon so sehr in der Geschichte gefangen, dass die Toleranz für verpasste Chancen enorm gewachsen ist. Einem Liam Neeson wäre in “96 Hours” so mancher Fehler zwar nicht unterlaufen. Jedoch wollten Lennie James und Nick Murphy auch nicht von einer perfekten Figur erzählen, sondern von einer zutiefst menschlichen. Dies haben sie auf beeindruckende Art und Weise geschafft, ganz ohne Hollywood.

Die erste Staffel der Miniserie "Save Me" ist ab dem 4. Mai immer freitags um 20:15 Uhr auf Sky Atlantic HD zu sehen, sowie auf Sky Ticket, Sky Go und Sky On Demand.