Herr Runge, Sie waren gerade in Austin bei der SXSW. Arbeit oder Vergnügen? Was nehmen Sie mit vom Festival?

Der Spaßfaktor ist schon recht groß, weil Austin eine tolle inspirierende Stadt ist, aber ich finde es wichtig als Unternehmer die Trends der Digitalisierung hautnah zu erfahren. Zudem ist der Kongress unter anderem auch mit seiner großen Technik-Ausstellung für zum Beispiel VR- und 360-Grad-Produktionen ein wichtiger Stimmungsbarometer für Innovationen sowohl auf der inhaltlichen wie technischen Seite. In Sachen Bewegtbild was uns ja unmittelbar betrifft gibt es zwei Welten, zum einen die hochklassige Produktion für die TV-Sender und die Anbieter wie Netflix und Amazon, andererseits die steigende nachfragen nach Bewegtbild für die sozialen Kanäle, wie Videos für YouTube und Facebook diese folgen anderen Gesetzten als für die TV-Produktion. Letztlich sind für uns beide Welten interessant, allerdings arbeiten wir noch überwiegend in der klassischen TV-Welt, aber man muss immer die Augen aufhalten für Neues.

Sie sind seit mehr als 25 Jahren mit Ihrem Unternehmen in Köln aktiv. Was ist derzeit schwieriger: Die Herausforderungen der Branche oder Fan des 1. FC Köln zu sein?

(lacht) Eine heikle Frage. Im Moment ist es für den FC-Fan in mir deutlich schwieriger. Da leidet man deutlich mehr und kann anders als bei den Herausforderungen in der Branche selber wenig ausrichten. Da gibt es sicher auch die ein oder anderen Probleme.

Und über die wollen wir sprechen. Kurz vielleicht zu Runge.tv selbst. Wie ist das Unternehmen inzwischen aufgestellt?

Die Firma besteht aus zwei Abteilungen, einmal den Kamera-Bereich und die Postproduktion. Im Kamera-Bereich sind wir mit ungefähr 35 eigenen Leuten unterwegs und stellen teilweise zehn Kamerateams am Tag. Das machen wir nicht nur mit festen Mitarbeitern sondern auch sehr vielen Freien. Natürlich bieten wir auch Drohnen oder festinstallierte Kameratechniken an. Und dann gibt es den Bereich der Postproduktion mit ungefähr fünf Mitarbeitern. Da bieten wir inzwischen mit einem Davinci von Blackmagic Design Postproduktion bzw. Color Correction in 4K an. Wir müssen ja frühzeitig investieren in die permanente technische Weiterentwicklung.

Sie meinen, dass die Kosten für neue Techniken zuerst bei den Dienstleistern ankommen, so wie auch schon beim Umstieg auf HD?

Das ist auch aktuell wieder ein Thema, gerade eben mit den Themen 2K bzw. 4K. Diese technischen Sprünge müssen wir aus eigener Tasche finanzieren, während sich die Sender wiederum den technischen Fortschritt über zusätzliche Distributionserlöse von den Zuschauern bezahlen lassen, Stichwort HD+. Wir sehen aber leider nicht, dass diese Gelder dann zusätzlich in die Produktion der Inhalte mit neuester Technik investiert werden. Da wird meist zu unseren Lasten Kostenneutralität erwartet. Wir arbeiten auf einem Preisniveau, das seit mehr als 15 Jahren festgesetzt ist.

Dass Neuanschaffungen teuer sind, ist unbestritten. Aber heutzutage ist die Leistungsfähigkeit doch viel höher und die Technikkosten auf Dauer geringer geworden oder nicht?

Jein. Auf die Postproduktion trifft das sicher zu. Da braucht es nicht mehr drei Maschinen-Schnittplätze, wo dann schon ein Rekorder mehr als 60.000 Mark gekostet hat. Da sind die Preise für Avid oder Adobe Premiere extremst gefallen. Aber gleichzeitig sind auch die Preise für eine Schnittschicht extrem gefallen. Im Kamera-Bereich ist das ein bisschen anders. Der Kamerabody selber ist etwas günstiger geworden in der Entwicklung von analog zu digital zu inzwischen 4K. Aber alles, was darum herum kommt - die Optiken, Licht, Ton etc. - das ist nicht günstiger geworden. Da darf man sich nicht von den fallenden Preisen für den Amateur- oder semiproffessionellen Bereich blenden lassen. Wir brauchen nicht einfach gute Geräte, sondern verlässliche Technik, die unter Dauerbelastung einen reibungslosen Workflow garantieren.

Mehr Menschen als je zuvor probieren sich, in unterschiedlichen Qualitäten, an Videoproduktion. Ist das für einen Dienstleister wie Runge.tv gut, weil neue Mitarbeitern oft schon Erfahrung mitbringen oder ist das Konkurrenz, weil Partner glauben auch ohne professionellen Dienstleister arbeiten zu können?

Der Markt ist natürlich hart umkämpft, aber für uns ist diese Problematik nicht so relevant, weil unsere Aufträge oft in Volumen und Aufwand so groß sind, dass dies nicht mal eben von jemandem mit ein bisschen Learning-by-doing umgesetzt werden kann. Wir arbeiten zum Beispiel für „Das perfekte Dinner“, da kommt es auf eingespielte Prozesse, Qualität und viel Erfahrung an. Ich bewerte es aber als sehr positiv, dass mittlerweile viele junge Menschen mit enormer Vorkenntnis kommen und natürlich setzen wir auch in gewissen Bereichen z.B. GoPros und andere kleine Kameras ein für zusätzliches Bild-Material. Ich sehe eher eine enorme Öffnung des Marktes für ganz neue Einsatzfelder von Bewegtbild, in denen es früher in der analogen Welt zu teuer war. Wenn inzwischen selbst lokale Firmen sich mit Imagevideo oder gar regelmäßigen Produktionen auf YouTube oder in Social Media präsentieren, dann vergrößert das den Markt erst einmal. In diesem eher niedrigpreisigen Segment ist der Wettbewerb dann allerdings noch intensiver als bei der Highend-Produktion.

Hat es Sie denn in all den Jahren nie stärker in die erste Reihe gezogen? Also nicht nur als Dienstleister für Produktionsfirmen, sondern selbst als Produzent aufzutreten?

Ich persönlich bin gelernter Kameramann mit klassischer Ausbildung und habe mich immer im Hintergrund sehr wohlgefühlt. Aber Runge.tv hat auch schon Sendungen und Beiträge selbst produziert und wir machen das weiterhin, allerdings nicht als Kerngeschäft. Wir produzieren aktuell etwas für Vox und haben früher sehr viel fürs ZDF gemacht, u.a. „ZDF Reportage“ und Beiträge für „Frontal“. Der Magazinbereich liegt mir sehr nahe. Ich habe damals beim WDR angefangen, „ZAK“ und „Die heilige Kuh“ gemacht - das kennt wahrscheinlich heute keiner mehr. Danach dann viel „Stern TV“. Das inhaltliche Mitdenken liegt mir und hat mir anfangs auch sehr geholfen, wenn man nicht nur der ist, der die Kamera bedienen kann, sondern bei der Geschichte, die erzählt wird, mitdenkt. Daraus ist dann mit Gleichgesinnten die Firma entstanden. Aber wir fühlen uns in unserer aktuellen Rolle als Dienstleister sehr wohl.

Früher war „Ich will zum Fernsehen“ ein oft gehörtes Karriereziel. Ist die Branche für den Nachwuchs noch so attraktiv wie zu Anfangszeiten von Runge.tv?

Es ist auf jeden Fall schwieriger geworden, Nachwuchs für die Fernsehproduktion zu begeistern. Die Branche macht es aber auch schwerer. Das Fernsehen ist immer industrieller geworden; es wird mehr gedreht, länger gedreht, aber immer weniger Zeit gegeben. Das macht den Einsteig anstrengender und die Aussichten weniger vielfältig als man sich früher die Karriereleiter im Fernsehen vorgestellt hat und vielleicht auch erklimmen konnte. Die Branche hat ein Nachwuchsproblem, wenn wir  bzw. die Sender nicht dafür sorgen, dass dort wo Fernsehen tatsächlich entsteht, wieder mit einem Budget gearbeitet werden kann, das einer angemessenen Wertschätzung entspricht. Ich kann mich da glücklich schätzen, dass wir ein sehr gutes und konstantes Team haben.

Aber Sie sind auch Ausbildungsbetrieb. Wie sieht es da beim Bewerberfeld aus?

Es ist schwieriger geworden, geeignete Bewerberinnen oder Bewerber zu bekommen. Wir bemühen uns als Ausbildungsbetrieb seit Jahren, Nachwuchs zu qualifizieren und haben viele Auszubildende, darunter auch einen Kollegen aus Syrien, den wir gerade ausbilden. Wir haben im vergangenen Jahr auch zusammen mit der MMC den Preis „Medien & Migration“ gestiftet. Auch das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass wir etwas tun müssen, um den Nachwuchs für unsere Branche zu begeistern.

Es wirkt so, als wäre die Fernsehproduktion inzwischen sehr oft dem kostengünstigen Nachwuchs überlassen. Kann man realistischerweise Karriere machen in der TV-Produktion?

Sicherlich gibt es in der Branche einen Druck, kostengünstig zu produzieren und junge Leute einzusetzen, das ist aber nicht überall so. Aber die Beobachtung ist sicher nicht falsch. Der Korridor der Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten ist leider sehr schmal.  Wer gut ist und mit Leidenschaft arbeitet, hat aber heute wie früher alle Möglichkeiten. Man muss dem Nachwuchs auch eine Chance geben, aber nicht jeder gute und wichtige Assistent ist auch ein guter Kameramann.

„Das regeln wir schon in der Postproduktion“ ist eine Phrase, die man immer häufiger hört. Immer seltener bestimmen die, die am Set sind, den Look und die Story einer Sendung. Warum?

Sicherlich liegt das daran, dass ein Drehtag insgesamt deutlich teurer ist als die ein Tag in der Postproduktion, aber es gibt ein größeres Problem dahinter: Es fehlt oft vor Ort der Mut, eine Entscheidung zu treffen. Immer häufiger erlebt man, dass zunächst mehr Material als nötig „gesammelt“ wird und danach dann entschieden wird, was man davon nutzen möchte. Das ist die Angst, sich festzulegen und am Set zu sagen, wie man es haben will und so hält man sich - auch aus Angst dem Sender gegenüber - lieber mehrere Optionen offen. Und man kann auch die Digitalisierung als Sündenbock anführen (lacht). Als man noch auf Film gedreht hat, hat man sich intensiver überlegt, was man drehen will. Da musste eine Filmrolle reichen. Selbst später auf Beta-Bändern hat mancher Redakteur es geschafft, einen zehnminütigen Beitrag auf einer 30-Minuten-Kassette zu drehen. Heute kostet es materialtechnisch nichts, einfach mehr zu drehen.

Herr Runge, herzlichen Dank für das Gespräch.