Es ist kurz nach 4, als mein Wecker klingelt. Zur Sicherheit habe ich ihn so weit weggestellt vom Bett, dass ich zum Aufstehen gezwungen bin, um ihn zum Schweigen zu verdammen. Die gute Nachricht: Mein Ziel ist an diesem Morgen nur wenige hundert Meter entfernt vom Hotel, in dem ich die Nacht verbracht habe. Der Weg durch die Dunkelheit führt mich zum "Sat.1-Frühstücksfernsehen", wo es nicht wenige Menschen gibt, die schon viel früher wach werden mussten als ich. Hier, an der Stralauer Allee, unweit der Spree, herrscht gegen 5 Uhr bereits ein reges Treiben. Schnell ein Kaffee auf der Couch, dann ein kurzer Blick in die Maske, wo sich die Moderatoren dieser Woche, Alina Merkau und Matthias Killing, zusammen mit Nachrichtensprecher Martin Haas dem obligatorischen Styling unterziehen.

Dass die Stimmung zu diesem Zeitpunkt fast schon ausgelassen ist, ist vermutlich nicht nur auf das nahende Wochenende zurückzuführen, sondern vor allem auf die Tatsache, dass Killing an diesem Morgen Geburtstag feiert. Verschwiegen wird das auch in der Sendung nicht. Im Gegenteil: Schon um halb 6 nippen die Moderatoren vor laufender Kamera an der kleinen Sektflasche, die ich mitgebracht habe, und später soll mit dem Musiker Evil Jared noch ein Überraschungsgast den Weg ins Studio finden, um Matthias Killing zu gratulieren. Immer mittendrin: Studiohund Lotte. Seit neun Jahren ist die englische Bulldogge Teil der Sendung. Ihr Herrchen ist der Mann mit der Schulterkamera, der sogar bereits seit mehr als 20 Jahren für das "Frühstücksfernsehen" arbeitet und einst schon Helga zum Fernsehstar am Morgen machte. 

Überhaupt sind viele der Menschen, auf die ich innerhalb von mehr als fünf Stunden hinter den Kulissen treffe, langjährige Frühaufsteher. Es scheint, als seien Mitarbeiter, die dem "Frühstücksfernsehen" schon seit zwei Jahrzehnten die Treue halten, die Regel und nicht die Ausnahme. Einer von ihnen ist Martin Haas, für den es alle 30 Minuten ernst wird. Mit einer kurzen Ausnahme ist Haas bereits seit Anfang der 90er Jahre das Gesicht der Früh-Nachrichten. Damit dürfte der Zwei-Meter-Hüne mit weitem Abstand der dienstälteste Sat.1-Moderator sein. "Ich war zwischenzeitlich mal für die ProSieben-Nachrichten tätig, bin dann aber nach einiger Zeit wieder zum Frühstücksfernsehen zurückgekehrt, weil ich mich hier noch mehr wie in einer großen Familie fühle", sagt Haas. "Da nimmt man die Arbeitszeiten gerne in Kauf."

Natürlich ist das mit der Familie eine Floskel, doch wer einmal einen Morgen lang hinter die Kulissen der längsten Live-Sendung des deutschen Fernsehens geschaut hat, wird den Eindruck nicht los, dass hier tatsächlich über all die Jahre hinweg eine Art Fernsehfamilie zusammengewachsen ist. Vielleicht erklärt das auch ein Stück weit den Erfolg der Sendung, die derzeit ihren 30. Geburtstag feiert und an vielen Tagen der einzige Anker im Sat.1-Progamm ist. Marktanteile von bis zu 18,3 Prozent in der Zielgruppe, wie sie das "Frühstücksfernsehen" schafft, sind eine Rarität geworden für den inzwischen in der Einstelligkeit angekommenen Sender. Wohl nie in der langen Geschichte der Morningshow war die Wertschätzung der Verantwortlichen für die Leistung der Morgen-Crew größer als jetzt.

Für den Außenstehenden mag es eine krude Mischung sein, die Sat.1 seinen Zuschauern nach dem Aufwachen auftischt. An diesem Morgen muss sich Carsten Zimmermann, der Chef vom Dienst, den hier alle nur "Zimbo" nennen, einer Bart-Stutzung unterziehen, und für Geburtstagskind Matthias Killing gibt's nicht nur den Bassist der Bloodhound Gang als Überraschung, sondern auch eine streng riechende Mett-Torte. In einem Einspielfilm werden betrunkene Ballermann-Touristen nach ihren politischen Vorlieben befragt. Dazwischen folgen Nachrichten, mehr oder weniger lustige Social-Media-Clips und ein Blick in die Sterne. So geht das den ganzen Morgen über, immer wieder wiederholen sich die Beiträge, weil die meisten Zuschauer ohnhin nur ein paar Minuten einschalten, bevor sie zur Arbeit aufbrechen.

"Nicht alles gelingt, schon gar nicht um diese Uhrzeit, aber ohne diese Freiheiten wäre das 'Frühstücksfernsehen' nur halb so unterhaltsam."
Jürgen Meschede, Chefredakteur bei MAZ & More

Was an diesem Morgen fehlt, ist der nicht immer unumstrittene Kommentar von Claus Strunz. Der ehemalige "BamS"-Chefredakteur ist mittlerweile Chef des "Frühstücksfernsehens" und mit dafür verantwortlich, dass in den vergangenen Jahren an einigen Stellschrauben gedreht wurde. Mit Erfolg: Sat.1 ist Marktführer am Morgen und parierte in der jüngeren Vergangenheit sämtliche Angriffe des Rivalen RTL, dessen Frühschiene aktuell ebenfalls 30. Geburtstag feiert. "Natürlich stellen wir fest, dass uns die Konkurrenz beäugt und immer wieder Elemente aus unserer Sendung übernimmt", sagt Jürgen Meschede, Chefredakteur bei der zu Axel Springer gehörenden Produktionsfirma MAZ & More, und fügt nicht ganz ohne Stolz hinzu: "Das Gesamtkonstrukt ist aber wohl nicht so einfach zu kopieren."

Ein Grund für die Popularität könnte darin liegen, dass die Mannschaft nicht davor zurückscheut, den Sendeplan auch mal ein Stück weit über den Haufen zu werfen, wenn sich spontan eine vermeintlich bessere Idee ergibt. Dass Evil Jared kurzerhand gegen den Weltmeister im Bierkrüge-Schleppen antritt, ergibt sich an meinem Besuchstag beispielsweise erst im Laufe der Sendung. Abseits dessen folgt das "Frühstücksfernsehen" einer festen Struktur - fünf Minuten vor der vollen Stunde gibt's News, danach laufen meist drei eng getaktete Beiträge -, doch der Freiraum der Moderatoren ist ungewöhnlich groß. "Unsere Moderatoren können in der Sendung ganz spontan ihre Ideen umsetzen", sagt Meschede. "Nicht alles gelingt, schon gar nicht um diese Uhrzeit, aber ohne diese Freiheiten wäre das 'Frühstücksfernsehen' nur halb so unterhaltsam."

"Wir nutzen unsere Freiheiten, aber Sie glauben nicht, was manchmal in unseren Ohren los ist", scherzt Matthias Killing, der seit sieben Jahren Teil der Moderatoren-Riege ist und das "Frühstücksfernsehen" als gute Schule erachtet. "Wenn du hier nicht untergehst", sagt er, "dann bist du mit allen Wassern gewaschen." Auffällig: Immer wieder wird die Backstage-Crew in die Sendung einbezogen wird, so wie "Zimbo", der zusammen mit den Moderatoren in diesem Jahr sogar zur "Völkerball-Meisterschaft" von ProSieben mitgenommen wurde. Womöglich auch dadurch überträgt sich das Familiäre, von dem hier alle sprechen, auch ein Stück weit ins die Wohnzimmer. Das hinzubekommen, ist jedoch gar nicht so einfach, schließlich kommt erschwerend hinzu, dass viele Zuschauer die Sendung zwischen Wachwerden, Duschen und Kaffeetrinken allenfalls mit einem Auge verfolgen.

Alina Merkau und Matthias Killing© Sat.1 / Claudius Pflug

"Anders als in Amerika, steht in Deutschland nicht in jeder Küche ein Fernseher, sodass nicht immer aufmerksam verfolgt wird, was gerade im Studio vor sich geht. Unsere Sendung funktioniert daher ein Stück weit wie Radio und dient in erster Linie als Begleitung", erklärt Chefredakteur Jürgen Meschede. So gesehen ist wohl kein Zufall, dass regelmäßig poppige Charts-Musik eingespielt wird, wenn's in die Werbung geht. Zu früher Stunde ist das Fernsehen eben mehr denn je ein Nebenbei-Medium. Und doch ist es natürlich nicht egal, was da morgens über den Bildschirm flimmert. Die Quote vom Vortag, die noch während der Live-Sendung ins Haus flattert, offenbart gnadenlos, bei welchen Themen das Publikum abschaltete.

Vor allem um 9 Uhr, wenn sich die Konkurrenz-Formate längst verabschiedet haben und das "Frühstücksfernsehen" noch eine Stunde munter weitersendet, gelten eigene Gesetzmäßigkeiten. "Die letzte Stunde ist die größte Herausforderung", sagt Meschede. Der simple Grund: "Vorher haben wir ein gemischtes Publikum, ab 9 Uhr fehlen die Männer." Zu diesem Zeitpunkt müsse die inhaltliche Ausrichtung daher speziell abgestimmt werden. "Mit Autotests würden wir am Zuschauern vorbeisenden." Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, prangt auf der Schlussgeraden seit geraumer Zeit ein gefühliges "Hautnah" unter der Uhr am Bildschirm-Rand, das den veränderten Schwerpunkt zum Ausdruck bringen soll.

Um 10 gehen dann aber endgültig die Lichter aus, zumindest im Studio. Ein Drei-Schichten-Prinzip sorgt nämlich dafür, dass hier, an der Stralauer Allee, quasi ständig gearbeitet wird. Für mich geht die Stippvisite beim "Frühstücksfernsehen" nach der anschließenden Redaktionskonferenz zu Ende. Fast sieben Stunden sind vergangen, seit mein Wecker mich aus dem Schlaf gerissen hat. Was bleibt, ist der Eindruck, dass sich Leichtigkeit im Fernsehen nicht erzwingen lässt, sondern auch hinter den Kulissen gelebt werden muss. Sicher, wer sich morgens für Sat.1 entscheidet, bekommt keine hochrangigen Minister zu sehen, sondern eine VIP-Expertin, die über das Treffen von Sophia Thomalla mit der Kanzlerin spricht. Aber gerade das Leichte ist bekanntermaßen nicht selten das Schwerste. Wohl dem, der das Erfolgsrezept dafür besitzt.