Es ist nicht davon auszugehen, dass Netflix ernsthaft darüber nachgedacht hat, Harald Schmidt zu einem TV-Comeback zu verhelfen. Falls doch, dann muss der Streamingdienst wohl mit einer Absage rechnen. Ob für ihn eine Rückkehr wie bei seinem amerikanischen Kollegen David Letterman in Frage komme, habe er seinen "wichtigsten Berater" - nämlich sich selbst - gefragt. Und seine Antwort lautete wenig überraschend: "Nein, nein, nein!"

Während es Late-Night-Rentner Letterman demnächst mit 70 Jahren also noch einmal wissen will, ist es um Harald Schmidt inzwischen still geworden. Der wird an diesem Freitag 60 und hat die große Bühne längst eingetauscht gegen sein Smartphone, mit dem er seit einigen Wochen eine Video-Kolumne für "Spiegel Daily" macht. Ein paar Minuten im Auto oder auf dem Flughafen müssen für die tägliche Schmidt-Dosis reichen. Dass der Ton oft rauscht oder die Kamera wackelt - geschenkt. Wer will das schon so genau nehmen?

"Spiegel Daily" ist vermutlich der letzte Schritt auf der langen Entwöhnung zwischen "Dirty Harry" und seinem Publikum. Beide waren sich erstmals Ende der 80er Jahre begegnet, als Schmidt beim Sender Freies Berlin eine Sendung namens "MAZ ab!" präsentierte, die später ebenso wie das Ratespiel "Pssst..." und die Satire-Show "Schmidteinander" im Ersten zu sehen war. Vor allem "Schmidteinander" geriet schnell zum Kult - auch wenn in vier Jahren gerade mal 50 Ausgaben entstanden.

In dieser Zeit stellte Harald Schmidt erstmals seine wahre Klasse vor der Kamera unter Beweis. Während er auf der großen Samstagabend-Bühne mit "Verstehen Sie Spaß?" grandios scheiterte, gelang es ihm, im Zusammenspiel mit Herbert Feuerstein seine Rolle im Fernsehen zu finden. Die war gerne zynisch und respektlos und aus diesem Grund viel besser am späten Abend verortet als um 20:15 Uhr. Das erkannte auch Fred Kogel und lotste Schmidt Mitte der 90er Jahre zu Sat.1, um ihm eine Late-Night-Show nach amerikanischem Vorbild anzuvertrauen.

Die Kritiken waren vernichtend und die Quote verheerend. Doch weil Kogel einen langen Atem bewies und sich Schmidt zunehmend davon entfernte, eine 1:1-Kopie von Letterman und anderen Kollegen zu sein, wurde die "Harald Schmidt Show" doch noch zum Erfolg - und zwar bei Zuschauern ebenso wie bei Kritikern. Wer an Karten für die Show kommen wollte, musste schnell sein. Innerhalb weniger Minuten waren sämtliche Tickets vergriffen. Nicht ohne Grund: Kaum einer erklärte den Deutschen die Welt so gut, wie die Kunstfigur Schmidt. Mit Worten, mit dem Rücken zum Publikum und natürlich auch mit Playmobil. Einmal sogar auf französisch.


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Bis Schmidt Ende 2003 plötzlich genug hatte und sich nach einem Wechsel in der Sat.1-Chefetage in die berühmt-berüchtigte Kreativpause verabschiedete. "Das letzte halbe Jahr unserer Zusammenarbeit war nicht mehr lustig", sagte sein langjähriger Kompagnon Manuel Andrack einmal über diese Zeit. "Außerhalb der Konferenzen sind wir uns kaum noch begegnet. Schmidt hat sich in seinem Büro eingeschlossen. Oder er ist in seinem Jaguar nach Hause abgehauen oder sonstwo hin." Doch nicht nur von Andrack nabelte sich der Late-Night-Star ab. Von diesem Moment an setzte auch die Phase des schleichenden Abschieds vom Publikum ein.

Denn auch wenn Schmidt später noch mehfach zurückkehrte - zunächst alleine, dann zwischenzeitlich tragischerweise zusammen mit Oliver Pocher -, so fühlte sich seine Show nur noch ganz selten so gut an wie in den Jahren vor der Pause. Zu kurz, zu selten, zu angestrengt. Das übertrug sich mit der Zeit auch auf die Zuschauer, die zunehmend fernblieben. War der Wechsel zur ARD zunächst von guten Quoten geprägt, folgten Schmidt später nur noch wenige Fans, als er den Weg zurück zu Sat.1 antrat. Als die Show schließlich nach einem Jahr abgesetzt wurde, wagte Schmidt noch einmal einen neuen, letzten Anlauf im Pay-TV.

"Ich war in jeder Stadt, in jedem Hotel. Ich kenne jeden Wurschtsalat."
Harald Schmidt

Doch bei Sky waren die Quoten an manchen Tagen kaum noch messbar, sodass auch hier schon bald der Stecker gezogen werden musste. Das Aus kommentierte Schmidt damals trocken mit nur einem Wort: "Okay." Als ihn Sat.1 zwei Jahre zuvor rauswarf, hatte er sich zumindest noch ein etwas gefühligeres "Schade." abringen können. Seither liest man gelegentlich noch ein Interview wie kürzlich mit dem österreichischen "Profil", in dem er mit seinen gelegentlichen Auftritten im "Traumschiff" als Kreuzfahrt-Direktor Schifferle kokettiert oder über sein Aktien-Portfolio spricht ("Mit ruhiger Hand. Bloß nicht hektisch werden!").

Ein weiteres Comeback? Wohl kaum. "Ich habe nicht mehr den Wunsch oder den Druck, etwas verarbeiten zu müssen", sagt Schmidt. "Ich mache es für mich, stelle mir dann vor, in welche Stadt ich fahren müsste, in welches Theater ich gehen und in welches Publikum ich schauen müsste, und gehe dann stattdessen Strudel essen. Die Pointe hab ich ja und weiß, dass sie funktioniert hätte. Ich kann mir die Lacher denken. Wozu noch auftreten? Ich war in jeder Stadt, in jedem Hotel. Ich kenne jeden Wurschtsalat."

Jetzt also "Spiegel Daily", wo er eine Light-Light-Light-Version seiner einstigen Show bietet. Stand-up und Gäste fehlen, dafür gibt er ein paar Minuten lang seinen Senf zum Weltgeschehen ab. That's it. Gut möglich, dass Harald Schmidt hier vor noch weniger Zuschauern sendet als einst bei Sky. Ob das ein Zukunftsprojekt ist? Wohl kaum. "Ich bin hier auf 'Spiegel Daily', so lange Sie mich sehen wollen", sagte Schmidt kürzlich am Ende seiner wackeligen Video-Kolumne, bevor er grinsend ergänzte: "Und natürlich auch, so lange es 'Spiegel Daily' gibt."