Um Bürger und Politiker vor der Bundestagswahl im September näher zueinander zu bringen, startet ZDFneo heute das Social-Factual-Format "Volksvertreter", in der ein Politiker jeweils von drei Bürgern für 24 Stunden begleitet wird. Diese Bürger haben völlig andere Sichtweisen als der Politiker, theoretisch bestünde also viel Konfliktpotenzial. Tatsächlich ist "Volksvertreter" eine interessante Mischung aus Selbstdarstellung der Politiker, Diskussionsrunde und Homestory. Und so gut es an einigen Stellen funktioniert, so zäh und ermüdend ist es an anderen.

Zunächst einmal zu den Politikern: Hier konzentriert man sich auf die zweite Garde. Paul Ziemiak (CDU), Silke Launert (CSU), Tim Renner (SPD), Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), Sevim Dagdelen (Die Linke), Markus Frohnmaier (AfD) und Lencke Steiner (FDP) nehmen an der Sendung teil. Da Wahlkampfrhetorik von prominenten Politikern und Spitzenkandidaten hinlänglich bekannt seien, verzichte man auf eben diese, ließ ZDFneo im Vorfeld der Sendung verlauten. Das war vermutlich eine gute Entscheidung, lernt man hier doch mal ein paar neue Gesichter kennen, die den Bürgern auf Augenhöhe begegnen.

Doch schon gleich in der ersten Sendung kommt "Volksvertreter" wie aus der Zeit gefallen daher. Paul Ziemiak stellt sich in der Auftaktfolge drei Bürgern und wird auch mit dem Thema Ehe für alle konfrontiert. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel hier gerade eine spektakuläre Wende vollzogen hat und das Thema voraussichtlich noch in dieser Woche im Bundestag zur Abstimmung kommt, fällt unter den Tisch und wird nicht erwähnt - die Sendung wurde schon vorher aufgezeichnet. Wäre diese Ausgabe vor einer Woche so gesendet worden, wäre alles in Ordnung gewesen, so wurde sie von der politischen Realität eingeholt. Eine aktuelle Diskussion wäre hier viel spannender gewesen.

Doch auch sonst hakt es an der ein oder anderen Stelle: Zunächst sitzen die Politiker mit den Bürgern locker in einer Runde und plaudern, danach geht es zum Einzelgespräch. Hier vergeht meist die Hälfte der Sendung nur auf einer persönlichen Ebene, damit die Protagonisten sich kennenlernen und auch die Zuschauer ein Gefühl für den Politiker bekommen. Das zieht sich etwas sehr lange und gibt den Politikern zu viel Platz zur Selbstdarstellung - und diesen Freiraum wissen sie gut zu nutzen.

Ein anderes, noch viel größeres Problem: Oft wird genau dann geschnitten, wenn die Gespräche interessant werden. Nun liegt es in der Natur der Sache, dass man in einer knapp 40-minütigen Sendung nicht all das zeigen kann, was sich zwischen einem Politiker und drei Bürgern an einem Tag zugetragen hat. Aber es ist doch ärgerlich, wenn gerade lustvoll geführte Diskussionen so unsanft beendet werden. Es macht nämlich schon Spaß zu sehen, wie die Protagonisten am Abend alle an einem Tisch sitzen und über das diskutieren, was sie bewegt. Hier kommen die Politiker manchmal auch ins Schwitzen und müssen sich rechtfertigen.

Volksvertreter© ZDF/Thomas Kierok
Paul Ziemiak (zweiter von rechts) trifft drei Bürger - und Jo Schück - zur Diskussion.

Bei den Bürgern haben ZDFneo und die zuständige Produktionsfirma Wieduwilt Film & TV Production ganze Arbeit geleistet. In den ersten zwei Folgen hat man einen guten Cast gefunden, der unterschiedliche Schwerpunkte hat, teilweise kann man sich auch über die Bürger vortrefflich streiten. Etwa dann, wenn der Malermeister sagt, die Regierung habe das Land 2015 mit Flüchtlingen "geflutet" und auch sonst sehr klare, manchmal umstrittene Sichtweisen hat. Und wenn die Sendung dann in eine Diskussion über Flüchtlinge und eine vermeintliche deutsche Leitkultur abdriftet, wähnt man sich schon fast bei "Anne Will", "hart aber fair" & Co.

Gut ist "Volksvertreter" immer dann, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert und die  Teilnehmer spontan reagieren müssen. Etwa dann, wenn Paul Ziemiak auf der Straße angepöbelt wird ("Er lügt!") und dann kurz gar nicht so recht weiß, wie er darauf vor laufender Kamera reagieren soll. Oder als es einem Gast einer Kneipe spontan entfährt: "Ach du ist auch von der CDU? Das ist ja noch schlimmer!". Zwei Mütter seien ja auch irgendwie "komisch", sagt Ziemiak salopp daher, nur um sich danach von einem der Bürger maßregeln zu lassen, dass er das ja bestimmt nicht so gemeint habe. Jo Schück führt unaufgeregt aber bestimmt durch das Format, agiert aufgrund der kurzen Sendezeit aber meist nur als Stichwortgeber.

"Volksvertreter" ist ein gutes Format, bei dem man auch noch was über die Politiker lernen kann - wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, sich in einem guten Licht darzustellen. Dazu haben sie leider zu viele Möglichkeiten. Am Ende müssen die Bürger schließlich abstimmen: Würden sie nach den 24 Stunden mit dem Politiker ihn oder gar seine Partei wählen? Das Ergebnis ist in den meisten Fällen nicht sonderlich überraschend: Ja, der Politiker ist irgendwie netter als gedacht und oft stimmen auch die Ansichten überein. Aber die Partei hinter dem Politiker geht dann doch nicht. So ist das eben, wenn man sich persönlich begegnet und auch privat ein wenig Zeit verbracht hat: Selbst politische Gegner können dann nicht so einfach verteufelt werden. Aber vielleicht ist auch gerade das eine schöne Erkenntnis in Zeiten von immer mehr Internet-Trollen und Hasskommentaren: Einfach mal den persönlichen Kontakt suchen. Inhaltlich streiten kann man sich dann immer noch.

ZDFneo zeigt sieben Ausgaben von "Volksvertreter" ab dem 29. Juni immer am Donnerstagabend ab 22:15 Uhr. Zum Start gibt's eine Doppelfolge.