Es gibt jene, die man nicht sieht, ohne die aber alles nichts wäre. Oder kann sich irgendwer eine vernünftige Natur-Doku vorstellen ohne die alles heilende Stimme von Christian Brückner? Wäre ja quasi ungültig. Ja, ich weiß, Volker Lechtenbrink oder Hannes Jaenicke sind hier und da auch mal zu hören. Aber das echte, das wahre Erkenntnisvergnügen stellt sich doch erst ein, wenn Brückners Vokalorgan den Raum mit leicht kratziger Robert-de-Niro-Wärme flutet.

Es sind die Off-Stimmen, die das Fernsehen oft erst zum heimeligen Erlebnis machen. Sie sind vertraut, weil man sie so häufig schon gehört hat, weil sie sich in ihrer Kuscheligkeit oft so anfühlen wie damals in Kindertagen, als einen der Opa auf den Schoss nahm und aus dem Kinderbuch vorlas. Auch heute, da Opa lange schon tot ist, bekommen wir immer noch gerne vorgelesen. Wir mögen es halt, wenn die Dinge so sind wie wir sie gelernt haben.

Off-Stimmen sind für viele Sendungen zur Marke geworden. Man nehme nur mal die wunderbare britische Serie „Call The Midwife“. Wie da Vanessa Redgrave zu Beginn und am Ende die Dinge zusammenfasst und zur kleinen Weisheit überhöht, das signalisiert sofort so etwas wie Ankommen. Man weiß sofort, wie es in der Serie zugeht, wie es riecht, wie die Möbel stehen. Selbst in der deutschen Synchronisation bleibt das erhalten, weil Judy Winter in der Rolle der weisen alten Frau einen sehr guten Job macht.

Eine Off-Stimme kann das Fernsehen so sehr prägen, dass all das, was zu sehen ist, in den zweiten Rang tritt. So wie etwa bei der Pseudo-Doku „Elefant, Tiger & Co“ im ARD-Nachmittagsprogramm. Die präsentiert Tiere im Leipziger Zoo. Und ihre Pfleger. Aber darauf kommt es nicht an. Wichtig ist allein die Stimme von Christian Steyer. Der ist so etwas wie die Ost-Ausgabe von Christian Brückner und wirkt wie eine sprechende Kuscheldecke, die einen sofort wärmend umhüllt und sogar Dinge wie die Kastration eines Lama-Männchens erträglich macht. „So, so, nicht schön“, sagt Steyer mit seinem traumhaften Strickjackentimbre aus dem Off und fügt dann die Weisheit als Happy End hinzu: „Aber wichtig fürs friedliche Zusammenleben.“ Kastrieren ist gut fürs friedliche Zusammenleben? In Leipzig sagt man „ja“ zu solchen Lösungen.

Stimmen aus dem Nichts sind wichtiger als man gemeinhin annimmt. Sie wirken wie Sound-Logos für Firmen. Man kennt doch dieses nervige Titititiiitiiii, bei dem man sofort weiß, dass die Telekom was von einem will. Genauso funktionieren gute Off-Stimmen. Sie binden den Kunden, wenn er sie einmal kennen und lieben gelernt hat.

So hat jeder sicherlich noch diese wunderbar überdrehte Stimme im Ohr, die bei „TV total“ die Einspieler besprochen hat, und keine Frau möchte doch je Shopping Queen werden ohne die vokale Begleitung von Thorsten Schorn. Und war nicht Frank Buschi Buschmann am besten, als er noch nicht vor jede verfügbare Kamera trat?

Die Königsklasse ist indes erreicht, wenn die Off-Stimme beinahe wichtiger wird als das Gezeigte. Bei „Upps! Die Pannenshow“ ist das seit gefühlten tausend Jahren der Fall, wo tausendfach abgenudelte Heimvideos mit mehr oder minder schweren Unfällen nur deshalb lustig sind, weil die Stimme von Monty Arnold einen gänzlich abstrusen Text dazu spricht. Jedes Mal wenn er da das Wort ergreift, öffnet sich die Text-Bild-Schere so weit, dass es bis ins Abstruse reicht und sich gerade deshalb große Komikkunst offenbart. Da bemängelt niemand mehr, dass das alles wirkt, als würden da seit Jahrzehnten dieselben Clips abgespult. Darum geht es nicht. Man könnte auch jede Woche dieselben Ausschnitte zeigen, dank der Stimme von Arnold bleibt es ein Vergnügen, weil man jedes Mal genug damit zu tun hat, das Gezeigte mit dem Gesagten in Einklang zu bringen.

Natürlich steht Arnold in der Tradition des seligen Hanns Dieter Hüsch, der einst die „Väter der Klamotte“ mit seinen gegenläufigen Kommentaren aus dem plumpen Slapstick der Dick-und-Doof-Tollpatschigkeit herausholte.

Schöne Off-Stimmen sind etwas Wunderbares. Sie machen aus dem Fernsehen ganz kurz Radio, aber dann liefern sie großartigen Mehrwert. Sie setzen dem Bildmedium die akustische Krone auf. Das ist dann das wahre Erlebnis. Man muss nur ab und an seinen Ohren mehr trauen als den Augen.