Am Donnerstag hat die ProSiebenSat.1Puls4-Gruppe den ehemaligen Konkurrenten ATV endgültig übernommen, zuvor hatten alle zuständigen Behörden und Kartellwächter dem Deal zugestimmt (DWDL.de berichtete). Geschäftsführer Markus Breitenecker spricht von einer "Aufholfusion", um näher an den ORF heranzukommen. Dabei meint er vor allem Umsatz und Gewinn, dank den Gebühren nimmt der ORF ja deutlich mehr ein als alle anderen Medienkonzerne in Österreich. Im Werbemarkt ist ProSiebenSat.1Puls4 gemeinsam ATV aber längst Marktführer und auch bei den Quoten kommen sich die Sendergruppen immer näher. Am Freitag hat ProSiebenSat.1Puls4 in Wien ihre Pläne vorgestellt und erklärt, wie die defizitäre ATV-Gruppe in den kommenden Monaten wieder auf Kurs gebracht werden soll. DWDL.de war vor Ort.

Geschehen soll das durch ein Plus bei den Einnahmen und natürlich durch Kostensenkungen. "Die nächsten Monate werden hart", sagt Breitenecker am Freitag ganz deutlich, als er auf das Restrukturierungsprogramm zu sprechen kommt, das man sich für ATV ausgedacht hat. So werden die Standorte der zwei Medienkonzerne zusammengeführt, ATV gibt seinen Sitz im Herzen Wiens auf und zieht in die ProSiebenSat.1Puls4-Zentrale. Etliche Abteilungen werden daraufhin zusammengeführt, wodurch natürlich auch Mitarbeiter ihren Job verlieren werden.

"Die nächsten Monate werden hart."

ProSiebenSat.1Puls4-Geschäftsführer Markus Breitenecker über das geplante Restrukturierungsprogramm.

70 Planstellen fallen weg. Österreichische Boulevardzeitungen haben das bereits aufgegriffen und sprechen von einem "Skandal". Wahr ist aber auch: Die ATV-Gruppe hat zuletzt regelmäßig 10 bis 15 Millionen Euro Verlust gemacht - jährlich. Und einen zweiten, ernsthaften Interessenten gab es offenbar nicht. Hätte ProSiebenSat.1Puls4 nicht übernommen, wären noch viel mehr Stellen weggefallen. Markus Breitenecker betont daher am Freitag auch immer wieder mit einigem Nachdruck, dass man auf jeden Fall 80 Mitarbeiter übernehmen werde. Darüber hinaus habe man schon seit Monaten offene Stellen nicht mehr nachbesetzt, damit man sie nun ATV-Mitarbeitern anbieten könne. Es fallen also 70 Stellen weg, Breitenecker will davon aber so viele wie möglich auffangen. Derzeit laufen die Gespräche mit den Mitarbeitern von ATV sowie dem Betriebsrat über mögliche Übernahmen. Bis Ende des Jahres soll die Fusion der Standorte sowie die Kündigung der Mitarbeiter abgeschlossen sein.

Bernhard Albrecht, Finanzchef von ProSiebenSat.1Puls 4, der neben Thomas Gruber die Fusion der beiden Sendergruppen verantworten soll, rechnet vor: 15 Millionen Euro will man auf der Kostenseite einsparen, die Einnahmen sollen gleichzeitig um fünf Millionen Euro steigen. Um die Kosten zu senken, werde man neben der Zusammenführung der Standorte auch einen gemeinsamen Programmeinkauf aufbauen. Und um den Umsatz zu steigern, soll wieder verstärkt in das ATV-Programm investiert werden. Ein erster großer Schritt, um das Vertrauen der Werbemärkte in die Marke ATV wiederherzustellen, ist die Ankündigung, dass das Puls4-Format "Austria's Next Topmodel" ab November bei ATV laufen soll. Die Modelsuche war der erste große Hit von Puls4 und ist bislang ein Aushängeschild des Senders - sowohl programmlich als auch im Bereich Sales. Mit dem Senderwechsel will die Geschäftsführung Investitionsbereitschaft signalisieren.

Darüber hinaus wird es eine exakt abgestimmte Komplementärprogrammierung zwischen ATV und Puls4 geben, damit sich die Sender in Zukunft nicht mehr gegenseitig im Weg stehen und Zuschauer klauen. Konkret geplant ist, dass der Montag und Dienstag bei Puls4 auch weiterhin mit Eigenproduktionen ("Bist du deppert?", "Ninja Warrior Austria") bestückt wird, während ATV sich auf den Mittwoch und Donnerstag konzentriert. Puls4-Senderchef Johannes Kampel hält sich zudem die Möglichkeit offen, in Zukunft auch am Sonntag verstärkt Shows zu zeigen. Zuletzt klappte das ganz gut mit großen Wahlsendungen, nun ist auch mehr Unterhaltung angedacht - ähnlich wie bei Vox oder Sat.1 derzeit in Deutschland.

Doch zurück zu ATV: Bekannte und erfolgreiche Formate des Senders wie "Bauer sucht Frau" und "Pfusch am Bau" sollen weitergehen, bestätigt der neue Programmgeschäftsführer Thomas Gruber. Darüber hinaus will man an der Positionierung der Sender schrauben: ATV soll etwas jünger als bislang werden und sich künftig verstärkt an Frauen richten, daher auch der Wechsel von "Austria's Next Topmodel". Puls4 dagegen wird künftig einen Tick älter und soll sich in der Ausrichtung eher an ORF eins orientieren. Beim neuen Programmschema der beiden Sender wollen die Verantwortlichen aufs Tempo drücken, bereits im Mai will man hier neu aufgestellt sein.

Zudem gilt: Künftig soll eine Serie auch nur noch bei einem Sender zu sehen sein, heute ist das noch etwas anders. "Criminal Minds" etwa ist sowohl bei Puls4 als auch bei ATV zu sehen, in Zukunft wandert das US-Format komplett zu ATV. Künftige Sport-Übertragungen sind dagegen nur noch bei Puls4 zu sehen, sofern sich die Gruppe die Rechte leisten kann. Markus Breitenecker verweist auf den starken ORF sowie immer investitionsfreudigere Pay-TV-Sender und VoD-Plattformen: Man habe künftig vielleicht nicht mehr genug Geld, um in teure Sportrechte zu investieren - besonders jetzt, wo man das Geld für die Sanierung von ATV brauche, so Breitenecker, der gleichzeitig betont, dass man die Europa League gerne bei Puls 4 halten würde.

"Dem Sender fehlt ein Profil."

ATV-Geschäftsführer Thomas Gruber über die Positionierung von ATV II.

Während bei ATV also vieles so bleibt, wie es ist, stehen dem kleinen Spartensender ATV II größere Änderungen bevor. "Dem Sender fehlt ein Profil", sagt Thomas Gruber. Bis zum Sommer wolle man daher ein Konzept zur Neupositionierung erarbeiten, 2018 erfolge dann ein Relaunch. Wohin es geht, steht aber noch nicht fest. Bei der Pressekonferenz am Freitag fielen Begriffe wie Food und Living, konkret geplant ist aber noch nichts. Fest steht nur, dass die Fiction auf dem Sender reduziert werden soll. Darüber hinaus soll die Marke ATV grundsätzlich bestehen bleiben, Gruber bringt nur einen möglichen Zusatz für den Hauptkanal ins Spiel. ATV würde dann ATV I heißen. Das könne er sich vorstellen, um ATV I und ATV II besser zu unterscheiden.

Ansonsten betonen alle Beteiligten, dass man die von der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) auferlegten Auflagen natürlich erfüllen werde. Diese sehen unter anderem einen eigenständigen ATV-Chefredakteur vor, zudem muss ATV eine eigenständige Nachrichtenredaktion haben, die fortan die Nachrichtensendung "ATV Aktuell" sowohl werktags als auch am Wochenende produziert. Corinna Milborn, Infochefin von Puls4 und Mitglied der Geschäftsführung, sagt, dass beide Redaktionen völlig unabhängig voneinander arbeiten werden. Lediglich der Austausch von Rohmaterial sei angedacht. Vom vorherigen ATV-Eigentümer, der Tele München Gruppe (TMG), wurden in der Redaktion zuletzt fünf Stellen abgebaut, ein weiterer Abbau von Personal ist derzeit nicht angedacht. "ATV Aktuell" soll zudem ein neues Studio erhalten. Milborn betont, die Übernahme von ATV sei ein wichtiger Schritt zum Erhalt der Meinungsvielfalt.

Der neue ATV-Geschäftsführer Thomas Gruber sagt zu den anstehenden Aufgaben: "Wir stehen nun vor einer großen Herausforderung, besonders wichtig ist es mir aber, zuerst mit allen Mitarbeitern bei ATV zu reden. Zudem müssen wir rasch die ersten Sanierungsmaßnahmen setzen, wie z.B. das Umsiedeln der Mitarbeiter und des Studioworkflows nach Neu Marx in die Senderzentrale von ProSiebenSat.1Puls4." Es sei ein wesentlicher Punkt, dass sich ATV und Puls4 programmlich künftig keine Konkurrenz mehr machen. "Dadurch wird den österreichischen ZuseherInnen die Chance auf mehr österreichisches Programm in der Primetime gegeben. Die Fusion ermöglicht zudem einen Ausbau der Programmvielfalt auf beiden Sendern." Marktanteile will man vor allen den ORF-Sendern und der RTL-Gruppe abnehmen. Mit der TMG konnte man einen dreijährigen Deal aushandeln, der der Gruppe viele Filme und Serien sichert.

Auch wenn alle Beteiligten derzeit Optimismus versprühen, bleibt festzuhalten, dass es keine einfachen Monate werden. Vor allem nicht für die ATV-Mitarbeiter, die ihren Job verlieren und keinen neuen angeboten bekommen. Ab 2018 will Markus Breitenecker den Turnaround bei ATV geschafft haben, dann sollen die Umsätze wieder anziehen und die Quoten steigen. Spätestens in drei Jahren soll der Sender wieder schwarze Zahlen schreiben. Ob und vor allem wie das funktionieren wird, wird sich zeigen. Die von der BWB erteilten Auflagen gelten bis 2022 und müssen eingehalten werden, das wird von einem unabhängigen Treuhänder überwacht. 

Mehr zum Thema