Überraschend: Serien in Cannes weniger dominant als zuletzt

Die Veranstalter der Messe haben den MIPdrama Screenings erneut einen ganzen Tag eingeräumt, Sky feierte mit seiner vielversprechenden Hochglanz-Serie "Riviera" große Weltpremiere in Cannes, Fremantle Media plakatierte das Palais des Festivals mit "American Gods" zu und von "Babylon Berlin" gab es wieder Mal Ausschnitte zu sehen. Doch all das sollte nicht darüber hinweg täuschen: Bei dieser MIPTV waren Serien bei den meisten Produktionshäusern und Distributoren nicht so dominant vertreten wie zuletzt. Stattdessen erlebte das Format-Geschäft eine Wiederbelebung, die gerade werbefinanzierten Programmen entgegenkommt, die vom Boom horizontal erzählter Serien kaum profitieren konnten.

Fiktionale Formate: Wenn statt der Serie nur die Idee verkauft wird

Das prominenteste Beispiel ist vermutlich "Homeland". Die US-Serie basierte ursprünglich auf der israelischen Serie "Prisoners of War". Längst ist aus einer ungewöhnlichen Ausnahme ein sehr lebendiger Trend geworden, der sich auch in Cannes weiter festigte. Das belgische Serienformat "Professor T" reiste von Belgien kürzlich erst erfolgreich nach Deutschland - und inzwischen darüber hinaus. CBS Studios International kündigte bei der MIPTV ganz aktuell den Format-Vertrieb der Serie "Ray Donovan" an. Fiktionale Formate sind aus drei Gründen so gefragt: Sie ermöglichen dem Sender in einem Trendgenre (Serie) die so sehr gewollten lokalen Inhalte, die sich allerdings im Ausland schon bewährt haben.

Soziale Experimente - auch aber nicht nur beim Dating

Eines der großen Schlagworte dieser MIPTV: Social Experiments. In den meisten Fällen sollte dieses Label zwar lediglich einer wahlweise banalen oder absurden Dating- oder Realityshow einen möglichst bedeutsameren Rahmen geben, doch es fanden sich auch vielversprechende Ideen darunter. Dominierend in dem Genre bleibt die ProSiebenSat.1-Tochter Red Arrow, die einst mit "Hochzeit auf den ersten Blick" den Boom des Genres auslöste und nun mit "Look me in the eye" einen der Messe-Lieblinge im Katalog hatte, der mit Dating ebenso wenig zu tun hat wie das herzerwärmende "Old People’s Home for 4 Year Olds".

Die Show zur App steht vor dem Sommer der Entscheidung

Die Idee, aus der Popularität einer Smartphone-App ein mit Rückenwind ausgestattetes TV-Format zu entwickeln, steht in diesem Sommer vor der Belastungsprobe. Lionsgate verkaufte auf der Messe seine TV-Gameshow zum Smartphone-Spiel "Candy Crush". Wie die aussehen soll, weiß noch niemand so genau. In den USA probiert es CBS allerdings mal - im Sommer auf dem Sendeplatz nach "Big Brother". Fox wiederum probiert "Beat Shazam". In der Show treten erst zwei Teams im Erraten von Musik gegeneinander an bevor dann das bessere Team gegen die Musikerkennung durch Shazam kämpft. Jamie Foxx wird moderieren.

Sehnsucht der Sender? Großes Interesse an den großen Shows

Es mangelte in den vergangenen Jahren nie an kleinen, charmanten Ideen im TV-Markt. Doch bei den ganz großen Showideen sah es mau aus. Bei der MIPTV 2017 deutet sich auf leisen Sohlen an: Das ändert sich. Größter Messe-Hit in Cannes war dann auch eine klassische Showproduktion - die in den USA erfolgreich gestartete Gameshow "The Wall" von Endemol Shine. Die deutsche Fassung wird bei RTL laufen (DWDL.de berichtete). Parallel dazu erfreuen sich nach einem Durchhänger auch Castingshows erneuter Beliebtheit. Und es sind weniger die neuen als die altbekannten Formate: In einigen Märkten haben große Castingshow-Marken in den vergangenen Jahren pausiert und werden nun, meist von kleineren Sendern, wiederbelebt.

Verschiebung der Märkte: TV-Markt wird immer internationaler

Einst galten die USA, Großbritannien und die Niederlande als die drei wichtigsten Märkte für neue TV-Ideen. Die Dominanz wurde in den vergangenen Jahren zunächst durch fiktionale Programme aus Skandinavien gebrochen. Längst aber schauen alle überall hin. Der Anteil der aus USA, Großbritannien und den Niederlanden stammenden Formate, die in Cannes gehandelt werden, ist deutlich gesunken. Israel, Türkei, Frankreich und Japan haben davon aktuell besonders profitiert. Randnotiz: China - weiterhin hauptsächlich Einkäufer von Fernsehinhalten - entwickelt ein neues Qualitätsbewusstsein, verbunden mit höheren Budgets.

SVoD-Portale drängen jetzt auch zunehmend ins Formatgeschäft

Einst machten sich allein die Produzenten und Distributoren von fiktionalen Serien Hoffnungen, doch inzwischen ist klar: Amazon, Netflix und Co. wollen auch mit non-fiktionaler Unterhaltung punkten ("The Grand Tour", "Ultimate Beastmaster", "Carpool Karaoke"). Das beflügelt einerseits die Fantasie der Branche, aber wirft auch grundlegende Fragen auf: Durch die weltweite Verbreitung der beiden bekanntesten SVoD-Marken würde der Verkauf einer Produktion einem Total-Buyout gleichkommen. Mit einem Verkauf wäre dann das gesamte Potential eines Programms erschöpft. Was kurzfristig lukrativ sein mag, könnte sich langfristig rächen. In Cannes debattierte die Branche über die Frage, welche Spielregeln - zeitliche Limitierung, Einräumung von Zweitverwertung etc. - sich im Formatverkauf an SVoD-Plattformen etablieren könnten.