Was würden Sie machen, wenn der Mitbewerber für ihren heiß ersehnten Job viel besser abgeschnitten hat als Sie selbst? Es akzeptieren und ihr Glück bei einer anderen Firma versuchen? Nein, natürlich nicht. Sie stoßen ihn vor ein Auto und nehmen dem Unternehmen die Last der Entscheidung ab. So hat es immerhin John Tavner (Michael Dorman) getan, damit er auf jeden Fall zum Angestellten eines Rohrleitungsbaukonzerns aus dem Mittleren Westen mit Sitz in den USA ernannt wird. Für diesen Ehrgeiz hat er tatsächlich ziemlich gute Gründe, ist der ehemalige Nachrichtenoffizier doch von seinem Vater und der US-Regierung engagiert worden, um sicherzustellen, dass der Irak keine funktionsfähigen Atomwaffen produziert. Wer nun aber etwas in die Richtung von "Mission: Impossible" oder "Jason Bourne" erwartet, ist schief gewickelt. "Patriot" ist viel mehr "Johnny Englisch" - und zwar in richtig gut. Dorman mimt einen Spion, mit dem man sich ohne Fremdscham-Momente amüsieren kann.

Am besten vorstellen kann man sich das, wenn man mit den Arbeiten der amerikanischen Coen-Brüder vertraut ist. Das Oscar-prämierte Regieduo hat mit Filmen wie "The Big Lebowski" oder "Fargo" das Genre der Thrillerkomödien neu definiert und einen bitterbösen Humor in Amerika etabliert, den man sonst nur aus Großbritannien gewohnt ist. Showrunner Steven Conrad ("Das Streben nach Glück") zeigt mit "Patriot" zu jeder Minute, wie sehr er sich diesem Stil verschrieben hat – vergleichbar mit Noah Hawley und der Serienadaption von "Fargo". Tatsächlich erkennt man teilweise nur an Kamera- und Dreheinstellungen, dass es sich nicht um eine Coen-Produktion handelt. Conrad experimentiert mit verschiedenen Techniken, lässt beispielsweise wichtige Handlungen gerne mal im Hintergrund ablaufen, während der Zuschauer ganz andere Dinge im Zentrum zu sehen bekommt. Auf diese Weise wird deutlich, dass "Patriot" nicht nur eine lustige Serie für zwischendurch ist, sondern auch eine, bei der man mit etwas Aufmerksamkeit höchst unterhaltsame Details erhaschen kann. 

Diese Detailarbeit steckt etwa in den Nebenfiguren, die ihre – teilweise sehr beschränkte – Screentime komplett zu nutzen wissen. Sei es der unehrenhaft entlassene Sicherheitsbeamte, der Tavner wortwörtlich mit dem Schlagstock darauf hinweist, dass er weiß, was er vor hat, Chris Conrad ("Topjob") als anhänglicher Dennis McLaren, der seine Chance erkennt, sein langweiliges Leben gegen ein Agentendasein eintauschen zu können, oder auch Rob Saperstein ("Sons of Anarchy") der sich per YouTube-Tutorial anschaut, wie man sich richtig einen Strick bindet. "Patriot" bietet eine derart herrliche Mischung aus skurrilen Begegnungen, bekloppten Vorfällen und packenden James-Bond-Sequenzen, dass es wirklich schade ist, dass die Macher rundum diese Amazon-Serie einen dermaßen schwachen und aussagelosen Titel gewählt haben. Mit "Patriot" verbinden viele nämlich zuallererst einen durchschnittlichen Mel-Gibson-Streifen und danach ein unsägliches Steven-Segal-Machwerk. Außerdem vermittelt der Titel ein Gefühl von Patriotismus, das man in der ersten Staffel mit der Lupe suchen müsste. Es müsste etwas viel Charmanteres auf dem Cover festgehalten werden.

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Obwohl auch "Patriot" in dieses neu definierte Genre der Thrillerkomödien gepackt wird, sucht man neben dem Patriotismus auch vergebens nach dem "Thrill". Wie bei "Fargo" werden ernstzunehmende Situationen mit einer unwirklichen Ruhe dargestellt, die meist mit sanften Klängen überspielt werden. Dadurch entstehen seltsam hypnotisierende Momente, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers wie einen Strudel einsaugen. Das ist auch in der Hinsicht absolut passend, da das Porträt des Spions mal von einer etwas anderen Seite beleuchtet wird. Wo sonst ein "James Bond"-Bild vermittelt wird, das zeigt, wie abwechslungsreich und interessant ein Leben als Spion ist, steht dieses Mal John Tavner und die personifizierte Abschreckung dieses Berufsbildes vor der Kamera. Wenn man nämlich keine Lust hat, sich mit endlosen Fettnäpfchen und bürokratischem Krimskrams herumzuschlagen, ja gar in einem sehr drögen Job zu landen, sollte man doch lieber etwas anderes werden.

Frei agieren kann ein Spion wie Tavner obendrein auch nicht. Erst recht nicht, wenn dein Vater gleichzeitig dein Boss ist. Dieser wird von Terry O'Quinn ("Lost") dargestellt und bietet im Zusammenspiel mit Kurtwood Smith ("Die wilden 70er") ein eingespieltes Schauspielerensemble, das mit seiner langjährigen Erfahrung noch mehr Ruhe in "Patriot" bringt. Teilweise werden sie sogar genauso wichtig wie Dorman selbst und das ist vor allem deswegen so schön erfrischend, da Dormans Figur eigentlich von vorne bis hinten einem depressivem Klotz ähnelt, der den Zuschauer ohne irgendwelche Ausgleiche negativ runterziehen würde.

Glücklicherweise sind es aber überwiegend neugierige und gespannte Gefühle, die aufkommen, wenn man anfängt die ersten zehn Episoden von "Patriot" auf Amazon zu streamen. Diese Serie ist nämlich derart vollgepackt mit frischen Ideen und bietet so viel zum Schmunzeln und Nachdenken, dass eigentlich gar keine Chance aufkommt, sie einfach in die Kategorie 'gleichgültig' zu stellen. In vielerlei Hinsicht ist sie gar gleichauf mit den hoch geschätzten Produktionen der Coen-Brüdern, auf manchen Ebenen, wie den Kameraexperimenten, sogar gänzlich einzigartig. Außerdem werden ganz nebenbei zahlreiche Lebensweisheiten mit auf den Weg gegeben. Nun wissen Sie immerhin, was man macht, wenn ein Bewerbungsgespräch mal nicht ganz am Schnürchen lief.  

Die erste Staffel von "Patriot" steht ab sofort in deutscher Synchronisation auf Amazon Prime Video zum Streaming zur Verfügung.