Die gute Nachricht gleich vorab: Nscho-Tschi stirbt nicht. Winnetous Schwester muss nicht wie in den Sechziger Jahren am Ende des ersten Teils der Winnetou-Trilogie ihr Leben aushauchen, weil der böse, von Mario Adorf gespielte Santer ihr eine Kugel in den Leib schießt und danach selbst in die ewigen Jagdgründe befördert wird. Die schlechte Nachricht wird hier auch gleich verabreicht. Mario Adorf ist wieder dabei. Er hat seinen Filmtod in den Sechzigern offenbar überlebt und spielt nun wieder den bösen Santer, diesmal Santer senior. Inzwischen ist er ein schwerreicher Krimineller, und als schlimmste Tat ist ihm zuzurechnen, dass er einen Sohn in die Welt gesetzt hat: Santer junior ist in einer Person alles, was man verabscheuen mag, wo er auftaucht, ziehen sich die Wolken zusammen.

Aber natürlich stehen solche Handlungsfragen gar nicht im Vordergrund, wenn RTL nun in drei Folgen den Mythos vom großen Apachenhäuptling und seinem Blutsbruder Old Shatterhand wiederbelebt und sich damit quasi am Sturz eines Nationalheiligtums versucht.

In den Sechziger Jahren waren die Winnetou-Filme die perfekte Familienunterhaltung. Der edle rote Mann und der kluge Weiße aus Sachsen wurden Freunde für ewig. Oder besser gesagt: Für drei Folgen, weil Winnetou am Ende der dritten Folge sterben musste. Alle haben da geweint im Kino, weil die Filme einen sehr geordneten Wilden Westen präsentierten. Ja, es herrschte geradezu pilchereske Idylle, es wurde mit getragenen Worten gesprochen, und dann kam die Regie und goss noch eine Wagenladung Pathos über die Szenerie.

Die Winnetou-Filme waren genau das, wonach sich die Nachkriegsrepublik in den Wirtschaftswunderjahren gesehnt hatte. Die Dinge hatten ihre Ordnung. Selbst im Wilden Westen. Die einen waren gut, die anderen böse, und es herrschte nur vorübergehend das Recht des Stärkeren. Menschen mit simplen Gemütern mochten diese Aufteilung. Alles war überschaubar, und die Tatsachen des schleichenden Völkermordes an den Ureinwohnern des amerikanischen Kontinents wurden zur Randbegebenheit, weil ganz vorne die Überlegenheit des weißen Mannes stand.

Da sind die neuen drei Teile ganz anders. Sie präsentieren die Welt von Winnetou und Old Shatterhand nicht länger als eine aufgeräumte, sie zeigen mehr von der Brutalität, die dem System der hemmungslosen Landeroberung damals zugrunde lag. Sie erzählen eine ähnliche Geschichte wie vor 50 Jahren, aber weil sie diese Geschichte nur ähnlich erzählen, weil sie andere Stilmittel benutzen, ist es am Ende eine ganz andere Geschichte.

Es sind keine schlechten Filme, die Regisseur Philipp Stölzl da in Szene gesetzt hat. Sie mühen sich sichtlich um Authentizität. Sie zeigen auch den Dreck, durch den man damals Ende des 19. Jahrhunderts musste, um im Goldenen Westen sein Glück zu finden. Leider aber funktionieren durch diese vermeintliche Realitätsnähe die zugrunde liegenden Karl-May-Geschichten nicht mehr. Die sind nämlich angewiesen auf eine ordentliche Dosis Pathos. Fehlt das, werden die Geschichten entkleidet bis auf ihren Kern und dann, man muss das offen sagen, bleibt nicht viel.

Man schleppt sich durch diese drei Filme, die netto an die fünfeinhalb Stunden dauern, was RTL natürlich noch mit Werbung anzudicken weiß. Man schleppt sich, weil sich alles sehr langsam und betulich entwickelt, weil die Abläufe ohne den Pathos-Turbo nicht recht in Gang kommen. Es ist beinahe tragisch: Die Zutaten stimmen, und doch schmeckt es am Ende fad. Ein bisschen ist das wie in manchem Biorestaurant.

Wotan Wilke Möhring beispielsweise ist ein sehr guter, ein sehr körperbetonter Old Shatterhand. Als Karl May kommt er ins gelobte Land, aber erst als er Winnetou kräftig eine pfeffert, bekommt er den Schmetterhand-Namen. Eindeutig ist Shatterhand der Mittelpunkt der Filme. Wo in den Sechzigern Winnetou stets die Höhepunkt-Szenen für sich reklamieren durfte, ist es nun sein Kumpel.

Das liegt nicht an mangelnden Fähigkeiten des neuen Winnetou. Kreshnik’Nik‘ Xhelilaj, ein albanischer Filmstar, macht seine Sache gut, im Rahmen der ihm gelassenen Möglichkeiten. Weil aber Winnetou die ganzen Filme schwer radebrechen muss, schafft es die Figur nur schwer, zu wirklicher Größe heranzureifen.

„Dein Gesicht besser ohne Gestrüpp auf Lippe“, sagt Winnetou, als sich Shatterhand im ersten Teil den Schnäuzer abrasiert hat. So wie es klingt, wirkt es auch. Es ist ein Clash der Kulturen, und Winnetou ist dabei eindeutig der Verlierer.

Sehr schön lässt sich das belegen an einer Szene, in der Shatterhand seinem Blutsbruder von Jesus erzählt. Winnetou will wissen, ob Jesus ein großer Krieger gewesen sei. „Er hat mit Worten gekämpft“, antwortet Shatterhand, woraufhin Winnetou eine glasklare Diagnose parat hat: „Worte schlechte Waffen.“ Das passt auf kuriose Weise, weil Winnetou in diesem Film damit quasi verbal unbewaffnet antritt.

Aber es gibt auch sehr feine Momente. Die dezent eingestreuten Originalmelodien aus den Originalfilmen, die aus dem einstigen Jugoslawien vertrauten Originalspielplätze und der eine oder andere Schauspieler funktionieren sehr gut. Michael Martens ist etwa als Santer junior eine hervorragend gemeine Wahl, und Milan Peschel gibt seinem Sam Hawkins eine ganz besondere Farbe.

Ein Totalausfall ist dagegen Fahri Yardim. Der „Tatort“-Kumpel von Til Schweiger spielt im zweiten Teil einen mexikanischen Banditen und wirkt durch den ganzen Film wie eine Witzfigur, wie eine aus der Augsburger Puppenkiste entliehene Karikatur seiner selbst. Da hätte man bei der Besetzung besser mal zwei, drei Gedankengänge weiter geplant.

Trotz all der Mängel hat der Film aber möglicherweise trotzdem eine Chance auf eine ordentliche Quote, weil bei Ausstattung und Kostüm ganz hervorragende Arbeit geleistet wurde, weil viele Feinheiten stimmen. Für den ganz großen Kult, den die Sechziger-Jahre-Filme entfachten und der bekanntlich ja auch Grundlage war für die Bully-Herbig-Parodie „Der Schuh des Manitu“, reicht es diesmal aber nicht. Es ist kaum anzunehmen, dass diese Trilogie das Zeug zum Weihnachtsklassiker hat. Das wird einmal laufen und dann höchstens noch eine Weile bei den angeschlossenen Verwertungskanälen der RTL-Gruppe herumgeistern. Schade eigentlich, aber einen Versuch war es allemal wert.

Der erste Film "Winnetou - Eine neue Welt" läuft am 25. Dezember um 20:15 Uhr bei RTL. Die weiteren Teile folgen am 27. und 29. Dezember.