Als Facebook kürzlich die erfolgreichsten Live-Videos aus Deutschland vorstellte, fand sich die N24-Berichterstattung zum Amoklauf in München auf dem zweiten Platz - mit mehr als vier Millionen Zuschauern lag der Sender damals nur knapp hinter einem live übertragenen Flashmob in der Hamburger Europa-Passage. Jetzt muss das Ranking allerdings noch einmal massiv korrigiert werden, weil N24 am Montagabend mit der schnellen Entscheidung, seine Live-Berichterstattung zum Terroranschlag auf einem Berliner Weihnachtsmarkt auch ins Netz zu verlagern, die bisherigen Rekord-Abrufzahlen weit in den Schatten stellte.

Sage und schreibe 15,2 Millionen Abrufe verzeichnete das vierstündige Live-Video bis zum Dienstagmittag und damit über drei Mal so viele wie das bisher meistgesehene deutsche Live-Video bei Facebook - eine Chance, die der Konkurrent n-tv verstreichen ließ, obwohl er im linearen Programm sogar ein paar Minuten früher auf Sendung ging. N24 profitierte dabei unter anderem von der Tatsache, dass das Video im Laufe des Abends mehr als 200.000 Mal geteilt wurde und sich somit auf schnelle Weise innerhalb des sozialen Netzwerkes weit verbreitete.

Das ist selbst im internationalen Vergleich eine ganze Menge. Als NBC am Abend der US-Wahl auf Facebook live berichtete, verzeichnete der amerikanische Sender 36 Millionen Views, CNN kam mit seinen Wahlergebnissen damals auf 24 Millionen Abrufe. Beachtlich ist die Abrufzahl von N24 aber auch mit Blick auf die TV-Quote, die dagegen fast schon klein erscheint: So verzeichnete der Nachrichtensender eigenen Angaben zufolge im klassischen Fernsehen bis in die Nacht hinein knapp 6,9 Millionen Seher - ernsthaft vergleichen lassen sich Abrufzahlen und TV-Reichweite aber freilich nicht.

N24-Berichterstattung zu Anschlag in Berlin© Screenshot N24

Unstrittig ist jedoch, dass sich mit Facebook Live innerhalb kurzer Zeit ein neuer Verbreitungsweg etabliert hat, der besonders in ungewissen Nachrichtenlagen wie diesen gefragt ist. "Die Verlässlichkeit einer Marke, in diesem Fall eines Informationsangebotes und seine Relevanz zeigt sich in Breaking-News-Situationen. Die Menschen dann professionell aktuell und schnell aber auch einordnend zu informieren, ist wichtig - und zwar dort, wo sie sich informieren und auch austauschen können", sagt N24-Sprecherin Kristina Faßler am Dienstag gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de. Jeder nutze in solch einer Situation den Kanal und Screen, der ihm gerade zur Verfügung steht - "abhängig davon, wo er sich gerade befindet", so Faßler weiter. "Wichtig: Er setzt dabei auf das Informationsangebot, auf das er sich verlassen kann, dem er vertraut. Kurz: Wir sind da, wo unser Publikum ist, und es sieht so aus, als ob es das weiß."

"Die Aufgabe der 'Tagesschau' ist es, Menschen in Deutschland immer und an jedem Ort mit relevanten Nachrichten zu versorgen."
ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke

Allerdings haben auch andere Sender Facebook Live als Plattform für sich entdeckt: So verzeichnete das Live-Video von "Bild" am Montagabend immerhin 2,9 Millionen Abrufe, die ARD-"Tagesthemen" brachten es bei Facebook auf 1,1 Millionen Abrufe. "Die Aufgabe der 'Tagesschau' ist es, Menschen in Deutschland immer und an jedem Ort mit relevanten Nachrichten zu versorgen", sagt ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke am Dienstag zu DWDL.de. "Deshalb haben wir es uns zum Ziel gesetzt, überall dort Nachrichten anzubieten, wo Menschen sich informieren möchten. Da dies in erheblichen Maße auch bei Facebook geschieht, haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, unsere Angebote auch als Facebook live anzubieten."

Ganz ähnlich sieht man das auch beim ZDF. "Das ZDF setzt 'Facebook Live' punktuell und gezielt ein, zum Beispiel bei Ereignissen mit hohem Nachrichten-Wert oder in besonderen Live-Situationen", heißt es aus Mainz, wo man das Tool aber auch als Begleitinstrument erachtet, um das Interesse von Facebook-Nutzern für das Programm und die Mediathek zu wecken. "Nach wie vor besteht jedoch Unklarheit darüber, wie aussagekräftig die Zahlen sind, die Facebook herausgibt", erklärte eine Sendersprecherin. Ungeachtet dessen hat auch das ZDF am Abend seine Nachrichtensendungen gestramt, ehe ein Reporter später zusammen mit einem Sprecher der Berliner Feuerwehr ein Update gab. Auch am Dienstag sollen alle "heute spezial"-Ausgaben sowie wichtige Pressekonferenzen live auf Facebook gestreamt werden.

Von der Möglichkeit, live auf Sendung zu gehen, machten übrigens auch die "RTL II News" Gebrauch, die am Montagabend nicht zuletzt Facebook nutzten, um ihre Zielgruppe zu erreichen - mit Erfolg: Als sich Reporter Christoph Hoffmann mehrere Minuten lang vom Tatort meldete, zählte der Sender mehr als 780.000 Abrufe. Damit erreichte RTL II über Facebook mutmaßlich mehr Menschen als mit seinen kurzen Newsflashes im klassischen Fernsehen.

Bellut verteidigt Verzicht auf Unterbrechung

ZDF-Intendant Thomas Bellut© ZDF/Benno Kraehahn
Während die Live-Berichterstattung in sozialen Netzwerken also weiter an Bedeutung gewinnt, sieht sich das ZDF unterdessen mancherorts der Kritik ausgesetzt, zu spät über die Ereignisse in der Hauptstadt berichtet zu haben. Dort brachte man zunächst den Spielfilm "Gotthard" zu Ende, ehe man zur regulären Zeit um 21:45 Uhr mit dem "heute-journal" begann. "Wir haben entschieden, erst Fakten zu sammeln und ein Bild von der Lage zu bekommen bevor wir das Programm unterbrechen. Ich halte diese Entscheidung auch im Nachhinein für richtig", stellte ZDF-Intendant Thomas Bellut am Dienstag klar. "Mit der Qualität unserer Berichterstattung bin ich sehr zufrieden."

Das ZDF hatte seine Zuschauer erstmals um 21:09 Uhr in einem Laufband informiert, "weil zunächst unklar war, ob es sich um einen Anschlag oder einen Unfall handelte", wie der Sender erklärte. Das ZDF reagierte damit jedoch deutlich später als die Kollegen der ARD, die schon gegen 20:50 Uhr erste Nachrichten einblendeten und schließlich um 21:12 Uhr die Rateshow "Wer weiß denn sowas? XXL" abbrachen. Auch RTL hatte sein Programm am Montag im Anschluss an "Wer wird Millionär?" geändert und anstelle von "Team Wallraff" und "Extra" eine dreistündige Sondersendung mit Ilka Eßmüller und Peter Kloeppel ausgestrahlt.

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