Das Jahr 2016 gehört bei RTL dem Retro-Trend. Demnächst kehren die täglichen Gameshows zurück, im Herbst folgt die Neuverfilmung von "Winnetou" und mit der Besetzung der "Kirmeskönige" treffen die Kölner diesbezüglich den Nagel auf den Kopf. Wenn Hella von Sinnen und Hugo-Egon Balder gemeinsam durch eine große Samstagabendshow führen, dann weckt das Fernseh-Erinnerungen bei all denjenigen, die Fernsehen schon kannten bevor es digital wurde.

Doch funktioniert eine auf dem Papier charmante Idee? Und trägt sie gleich fast vier Stunden? Die Antworten lieferte der Samstagabend: Ja und Nein. Auf Anhieb so charmant und rotzig wie früher waren die beiden Gastgeber. Hella von Sinnen - zuhause in Köln - begegnete dem jubelnden Applaus im Zelt auf der Düsseldorfer Rheinkirmes zu Beginn mit einem "Was für ein freundlicher Applaus…in Düsseldorf!". Und Balder erklärte den Abend: "Wir haben heute Abend elf Attraktionen - also zehn Attraktionen und Frau von Sinnen."

Schnell schob er aber in bekannt liebenswürdiger Art ein "kleine fette Schnecke" hinterher. Es ist beinahe so wie damals als das Duo bei "Alles nichts oder?!" mit allerlei Quatsch frühe Privatfernseh-Geschichte geschrieben hat. Schön, dass ein bisschen von jenem Tschaka Tschaka übrig geblieben ist. Vermutlich sehr zur Überraschung von Balder und von Sinnen wollte RTL dem Duo dann aber doch nicht vier Stunden Sendezeit ganz allein überlassen.

"Wenn der Balder Punkte vergibt, versteht das keiner. Die Älteren wissen was ich meine"

"Die Kirmeskönige" ist also eine Promi-Gameshow mit zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern in vier Teams. In zehn Spielrunden bekamen sie die Gelegenheit, sich für das Finale der Show zu rüsten. Warum es in den Vorrunden keine Punkte gab, erklärte Balder: "RTL hat gesagt: Wenn der Balder Punkte vergibt, versteht das keiner. Die Älteren wissen was ich meine." Statt Länderpunkte gab es - noch kurioser - "starke Männer" zu gewinnen. Sie sollen später beim Finalspiel - dem Teufelsrad - hilfreich sein.

Aufgezeichnet wurde die Show schon im Juli als in der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen die größte Kirmes am Rhein stattfand. Mancher Schwenk über den Kirmesplatz vermittelte ein bisschen Atmosphäre und im Studio-Zelt machte Hella von Sinnen schon im Alleingang Kirmes. Nur wann immer es für die spektakulärsten Spiele raus auf die Attraktionen ging, fehlte kurioserweise das Gefühl, gerade auf einer tatsächlich stattfindenden Kirmes mit zehntausenden Besuchern zu sein.

Kirmeskönige© RTL


Außenreporterin bei den großen Spielrunden war Nina Moghaddam, die sich als Gegenpol zum schrill-schroffen Duo Balder/von Sinnen als Idealbesetzung entpuppte. Zu ihr kamen die prominenten Kandidaten um auf diversen Fahrgeschäften die absurdesten Aufgaben zu erledigen. Klamotten-Tausch auf einer sich selbst noch einmal drehenden Riesenschaukel, möglichst wenig Flüssigkeiten bei einer Achterbahnfahrt verschütten oder vor dem Gesicht baumelnden Mäusespeck bei einer Fahrt auf dem "Break Dance" mit dem Mund einfangen.

Wer sich dabei wie geschlagen hat - das ist bei all den Promi-Gameshows ja zweitrangig. Viel interessanter waren hier die mal spektakulären, mal ulkigen Bilder, die dabei entstanden. Die Idee, eine echte Kirmes als Kulisse für eine Promi-Gameshow zu nutzen, wurde diesmal smart umgesetzt (Ähnliches probierte Sat.1 vor Jahren schon einmal). So manches banale Studio-Spiel, das auch in anderen Show möglich gewesen wäre, wurde auf diesem Wege um originellere Herausforderungen ergänzt. Zwischendurch stets die Analysen im Studio-Zelt von "der dicken Tante" (von Sinnen über sich selbst) und "dem Alten".

"Ich darf Sie gleich bewerfen! Aber nicht mit Torten"

Zwischendurch juchzt von Sinnen vor Freude: "Herr Balder, wissen Sie worauf ich mich freue? Ich darf sie gleich bewerfen!" Und setzt hinterher: "Aber nicht mit Torten." Doch die Schadenfreude aus "Alles nichts oder?!" steht ihr dennoch ins Gesicht geschrieben: Letztlich ging es für eine Zuschauerin aus dem Publikum beim Werfen von Hula-Hoop-Reifen auf Hugo-Egon Balder um Gratis-Fahrten für alle Kirmes-Attraktionen. Name des Spiels: "Triff den Hugo". Das war so sinnfrei wie auflockernd in der leider zu lang geratenen Show.

Nicht nur das Duo im Studio-Zelt erinnerte an die 90er Jahre - auch der Aufwand der Show und das im positiven Sinne: In jenem goldenen Jahrzehnt des Privatfernsehens wurde aus Angriffslust und Übermut so manche schräge Showidee realisiert (Googeln sie einfach mal 'Flieg mit Air-T-L'). Die "Kirmeskönige" knüpfen da - trotz Voraufzeichnung - mit gut vermitteltem Event-Charakter und starken Bildern bei einigen der Wettkämpfen an.

Die Kirmeskönige© RTL


Nur drei Stunden und 45 Minuten - ganz so lange hätte der Ausflug auf den Rummel nicht sein müssen, aber XXL-Shows liegen ja leider seit einiger Zeit schon im Trend. Am Ende gewann übrigens TV-Anwalt Christopher Posch für sein Team "Zuckerwatte" (zu dem auch Paul Janke und Sarah Lombardi gehörten) den Titel der Kirmeskönige 2016. Zur Freude von Hella von Sinnen ging es auf dem finalen Teufelsrad recht schnell: "Ich will noch Brot kaufen", merkte sie nach dem langen Abend und vor dem Finale noch auf ihre trockene Art an.

Liebes RTL, falls die 90er anrufen und ihre Samstagabendunterhaltung zurück haben wollen... dann gebt sie bitte nicht her. Einmal im Jahr können "Die Kirmeskönige" gerne unbeschwerte, heitere Unterhaltung liefern. Eure Zielgruppe wird eh älter, da passt das super. Die wenigen jungen Menschen, die bei dem guten Wetter am Samstagabend vorm Fernseher saßen, haben sich eh nachvollziehbar für das sehenswerte "Die beste Show der Welt" drüben bei ProSieben entschieden, das DWDL.de schon bei der Premiere sehr gelungen fand.

Die Kirmeskönige© RTL

Und wenn beim nächsten Mal dann nicht gerade in fast ganz Deutschland traumhaftes Sommerwetter die Zuschauer vom Fernseher fern halten würde, schaut beim nächsten Mal vielleicht auch jemand zu. Und perspektivisch werden weitere Ausgaben dieser Sommershow ja wohl auch eher kürzer. Herr Balder muss ja irgendwann mal ins Bett.

"Die Kirmeskönige" - produziert von Constantin Entertainment - bilden als finales Sommer-Programm zusammen mit den bereits beendeten "Ninja Warrior Germany" (Norddeich), "500 - die Quizarena" (Warner Bros.) und dem "Sommerhaus der Stars" (Seapoint) im Übrigen das stärkste und am wenigsten peinliche Sommershow-LineUp der Kölner seit mehreren Jahren. An so manche Schnapsidee der vergangenen Ferienzeiten möchte man sich lieber gar nicht mehr erinnern. Dagegen lieferten die diesjährigen Formate gute bis sehr starke Quoten - und weit weniger Fremdscham. Von der, die Hella von Sinnen und Hugo-Egon Balder bewusst provozieren, mal abgesehen.