Falls Gerhard Delling jemals auf die Idee kommen sollte, auf einem Elefanten ins "Sportschau"-Studio zu reiten, dann käme er wahrscheinlich durch den "Elefantengang". Momentan wäre das allerdings nicht möglich – weil Delling in Frankreich die Fußball-Nationalmannschaft auf Schritt und Tritt begleitet und besagter Gang in einem WDR-Gebäude in der Kölner Innenstadt ohnehin vorübergehend zum Arbeitsplatz auf Zeit umfunktioniert wurde. An diesem Ort hat der WDR nämlich das National Broadcasting Center, kurz NBC, eingerichtet, das noch bis in den Juli hinein als Knotenpunkt für die Fernseh- und Hörfunk-Berichterstattung der ARD rund um die Europameisterschaft dient.

Hier arbeiten rund 80 Mitarbeiter zum Teil bis tief in die Nacht hinein. Da kann es schon mal vorkommen, dass das Licht erst um 2 Uhr ausgemacht wird, weil noch Beiträge fürs "Morgenmagazin" am nächsten Tag vorbereitet werden müssen, sagt Ralf Scholt, der rund um den "Elefantengang" versucht, möglichst alles im Blick zu haben. Das ist gar nicht so einfach, denn hier, in den verschachtelten und oft tristen Fluren des WDR, kann man schon mal leicht die Orientierung verlieren. Die falsche Etage, eine verkehrte Abzweigung – gerade in den ersten Tagen ist noch nicht jeder Gang im NBC vertraut. Etwa zwei mal täglich versucht Scholt, bei allen Kolleginnen und Kollegen vorbeizuschauen, und je länger die EM dauert, desto vertrauter werden ihm die Wege.

Wer sich bislang nicht weiter damit beschäftigte, wie all die EM-Übertragungen auf den Fernseher, ins Radio oder in die App kommen, der wird einigermaßen erstaunt sein über die Komplexität des Betriebs, in dem es immer dann am leistesten ist, wenn sich gerade in Frankreich zwei Mannschaften auf dem Platz gegenüberstehen. So wie im großen Regieraum mit all seinen Knöpfen, Reglern und Monitoren. "An einem normalen 'Sportschau'-Samstag herrscht hier allerdings mehr Aufregung", sagt Scholt und erinnert daran, dass bei einem großen Fußball-Turnier in der Regel nur ein Spiel stattfindet, während in der Bundesliga meist fünf, manchmal sogar mehr Partien gleichzeitig ausgetragen werden. Das führt dann schon mal zu erhöhtem Blutdruck.

Ralf Scholt im National Broadcast Center© WDR/Dirk Borm

Ralf Scholt im National Broadcast Center in Köln

Hier, in der Regie, herrscht freilich auch jetzt Anspannung, schließlich kann schnell mal etwas schiefgehen - und einen großen Bildausfall, wie ihn das ZDF vor acht Jahren ausgerechnet beim EM-Halbfinale zwischen Deutschland und der Türkei erleben musste, wollen sich alle gerne ersparen. Aus diesem Grund wurde vorgesorgt: Zusätzlich zum TV-Bild, das in die Wohnzimmer transportiert wird, steht eine Notfall-Leitung bereit, auf die im Zweifel schnell zurückgegriffen werden kann. Und falls auch diese ausfällt, gibt's auch noch eine Notfall-Leitung für die Notfall-Leitung. Diese werde doch sicherlich kaum benötigt, werfen wir ein, als wir der Regie einen Besuch abstatten. Eine Antwort erhalten wir nicht, dafür bloß ein verdächtiges Lächeln.

Sollte tatsächlich die komplette Technik den Geist aufgeben, dann heißt es Feuer frei für den letzten Strohhalm - und der wartet im Keller. Dort sitzt tatsächlich ein Ersatzmoderator, der zum Einsatz käme, wenn gar nichts mehr geht. Markus Philipp heißt der Mann, der privat vermutlich nicht so einsam ist wie in diesen Stunden. Entspannt sitzt er auf einem Sofa neben einer provisorisch aufgebauten Greenscreen-Wand und tippt etwas in seinen Laptop. Der Worst Case wird schon nicht eintreten. Das andere Ende des Studios wirkt da schon heimeliger. Hier warten nämlich die Kulissen des "Presseclubs" auf ihren sicheren Einsatz am Sonntag.

In einem anderen Stockwerk des WDR-Gebäudes muss es indes noch leiser zugehen als in der Regie. Hier ist nämlich die Audiodiskreption angesiedelt, für die Konzentration und voller Körpereinsatz gefragt ist. Die Herrschaften müssen für sehgeschädigte und blinde Menschen textlich durchgehend das beschreiben, was auf dem Platz zu sehen ist. Und das ist wahrlich fordernder als man mit dem ersten Gedanken vermuten möchte. Kurz nach dem Abpfiff öffnet sich die Tür eines unscheinbaren Raums und heraus kommen zwei Männer, die sich sichtlich ausgelaugt in ihre viertelstündige Pause verabschieden. Kurze Verschnaufpause, danach geht's direkt weiter, noch einmal 45 Minuten Höchstleistung bei einem ansich eher unspektakulären Gruppenspiel.

Zurück im "Elefantengang" erklärt Ralf Scholt, wie intensiv die Planungen für das Großprojekt Fußball-EM vorangetrieben wurden. Kaum war die Weltmeisterschaft vergangen, begannen auch schon die Arbeiten am Euro-Konzept, das jetzt zum Tragen kommt. Dass manchmal selbst die beste Planung schlagartig über den Haufen geworfen werden muss, zeigte sich gleich am ersten Sendetag der ARD, als anstelle eines sportlichen Einstiegs erst mal über die Hooligan-Ausschreitungen nach dem Vorrundenspiel zwischen England und Russland berichtet werden musste. Hinzu kamen Unterbrechungen durch die "Tagesschau" zum Blutbad in Orlando und ein kurzfristig eingeschobener "Brennpunkt" vor dem Deutschlandspiel.

Dabei ist der WDR-Mannschaft auch sonst keineswegs langweilig, was daran liegen mag, dass immer mehr Angebote hinzukommen, die mit Content passgenau bespielt werden wollen. Scholt spricht von einer "neuen Dimension" und verweist auf Second Screen und Multiview, aber auch auf soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Instagram, die gleich drei Content-Manager in Paris und Köln ständig im Auge behalten. Der EM-Wahnsinn hält noch bis zum Finale am 10. Juli an. Danach wird all die Technik wieder ausgebaut und das National Broadcast Center der ARD verschwindet. Um die Olympischen Spiele in Rio wird sich nur wenige Wochen später der NDR kümmern. Hier in Köln geht zu diesem Zeitpunkt dann schon längst wieder alles seinen normalen "Elefantengang".