"It's Not TV. It's HBO". Damit warb der noch vier Jahre vor Showtime gestartete Pay-TV-Sender lange für sein Portfolio, das gemäß Tina Turners Worten zwischenzeitlich mit "Simply the Best" angepriesen wurde. Drama-Serien wie "Oz", welche die alltägliche "Hölle hinter Gittern"- so der deutsche Untertitel - im Trakt "Emerald City" des fiktiven Hochsicherheitsgefängnisses "Oswald State Correctional Facility" beleuchtete, "Die Sopranos" über die titelgebende italo-amerikanische Mafiafamilie, oder die das Leben und noch mehr das Sterben und Beerdigen in den Fokus stellende Serie "Six Feet Under", verhalfen dem Pay-TV-Sender einst zum endgültigen Aufstieg in den Kritikerolymp. Nicht zu vergessen das epische "The Wire", das von der New York Times gar als "literary television" bezeichnet wurde und die Serie als Gattung aus ihrer stiefmütterlichen Rolle zu befreien versuchte, indem sie sie in die Nähe der Literatur rückte. Eines war klar: wo das so genannte Label "Quality TV" klebte, war HBO nicht weit. Und dies war vor allem den mehrstaffeligen Drama-Serien zu verdanken.

Und heute? Der Versuch, dem sehr erfolgreichen, aber bald endenden "Game of Thrones" im Bereich jenseits der Comedy-Serien mit "Vinyl" weitere Verstärkung zu verschaffen, ist bereits nach einer Staffel misslungen. Auch wenn eine zweite Staffel noch vor Ende der ersten geordert wurde und der zweistündige Pilot Gerüchten zufolge mehr als 30 Millionen Dollar gekostet haben soll, konnte die Serie weder bei der Kritik, noch beim Publikum richtig punkten, so dass der Zweitling trotz grünen Lichts erst gar nicht mehr realisiert wird: Aus nach nur einer Staffel für die Produktion von Martin Scorsese und Mick Jagger. Josef Adalian spricht in einem bei Vulture erschienen Artikel gar von einer "Jahre langen kreativen Flaute, wenn es um Drama-Serien geht" und attestiert dem Sender mit dem Akronym, das eben sehr lange als Synonym für Fernsehen jenseits des Fernsehens galt, ein Drama-Serien-Problem mit fehlendem Nachschub in Sachen Gamechanger. Nicht einfacher wird dies durch die Konkurrenz, die HBO schon seit längerem die Monopolstellung als Hort der Kreativität streitig macht: Showtime, AMC, FX oder Video-on-Demand-Dienste wie Netflix und Amazon rücken dem bereits 1972 auf Sendung gegangenen Pionier mit sehenswerten Eigenproduktionen auf die Pelle.

Niedergeschlagen hat sich die zurückgehende Sonderstellung des Senders in den zurückliegenden vier Jahren jedoch in einer Sache nicht: das zu Time Warner gehörende Home Box Office genießt nach wie vor den Rückhalt der für die Verleihung der Emmys verantwortlichen Television Academy. Nicht nur, dass HBO dort Jahr um Jahr die Liste der Sender anführt, erst letztes Jahr wurden mit 126 Nominierungen und 36 Siegen neue Höchstwerte erzielt. Betrachtet man den Mix aus Nominierungen und nach Hause genommenen Trophäen, landete im Vergleich dazu vor allem ein Sender in dieser Kategorie weit hinter HBO: Showtime ging mit nur 18 Nominierungen ins Rennen und konnte daraus lediglich einen Sieg generieren. Sogar Comedy Central war mit 25 Nominierungen angetreten und verwandelte davon sechs in goldene Damen.

Wenn HBO der große Liebling der Academy ist, wird man den Gedanken nicht los, dass Showtime der nicht blutsverwandte, semi-beliebte Patenonkel zu sein scheint, den man zu einer Familienfeier einlädt, weil es sich so gehört. Denn meist zeigt sich die Academy bei Nominierungen von Showtime-Produktionen weniger spendabel, so dass der Sender in jüngster Vergangenheit in der Regel auch hinter FX und AMC lag - zusätzlich zum Pole-Position-Inhaber HBO, versteht sich. Manchmal, aber nur manchmal zahlt sich jedoch die Einladung aus und der Patenonkel wird mit mehr Aufmerksamkeit beschenkt als gewohnt. So zum Beispiel im Falle der Showtime-Serie "Homeland".

Blickt man nun auf eine andere Preisverleihung als Gradmesser für sehr gutes Fernsehen, wird vor allem bei einer Serie aus dem Hause Showtime ein Unterschied sichtbar. Die für die Verleihung der Golden Globes verantwortliche Auslandspresse scheint besonders bei der Serie "The Affair" anderer Auffassung zu sein, als die über 15.000 Mitglieder der Television Academy. Am Abend des 11. Januar 2015 konnte nicht nur die Hauptdarstellerin Ruth Wilson den Preis entgegennehmen, die mehrperspektivische Serie wurde zugleich auch als Beste Drama-Serie ausgezeichnet. Auch wenn der ausgerechnet aus der HBO-Serie "The Wire" bekannte Dominic West zwar Kevin Spacey ("House of Cards") den Preis überlassen musste, so war er doch zumindest für seine Rolle in der ersten Staffel nominiert.

Als Newcomer den Preis für die Beste Drama-Serie abzuräumen, war ein fulminanter Einstand. Wenn man nun bedenkt, dass die Entscheidungen bei den Golden Globes gerne als Richtschnur für die Emmys gewertet werden, könnte man davon ausgehen, dass eine von der Auslandspresse auf den Thron gesetzte Serie auch bei einer Fernsehpreis-Gala im darauf gefolgten Herbst den einen oder anderen Preis zugesprochen bekommen sollte. Aber nichts. Fehlanzeige. Die Serie, die sich des erzählerischen Prinzips von Akira Kurosawas filmhistorisch bedeutenden Streifens "Rushomon" bedient und die Geschichte ausgehend von einer Sommer-Affäre und einem Todesfall von unterschiedlichen Protagonisten erzählen lässt, erhielt noch nicht mal eine einzige Nominierung. Dass der Rückschluss der Golden Globes auf die Emmys gerne mal fehlerbehaftet ist, zeigt sich in dem Fall bei "The Affair". So wirkt die Showtime-Serie wie ein Hidden Track auf einer CD, der auch gerne mal übersehen wird.

Dabei vereint die Serie von Sarah Treem und Hagai Levi viele Zutaten in einem Topf, die zu einem sehenswerten Endprodukt führen, vielleicht auch weil der Rahmen im Gegensatz zu allseits beliebten Zombies oder Superhelden realitätsnaher ist, zwischenmenschliche Gegenwartsprobleme aufgegriffen werden und das Ganze unkonventionell verpackt wird. Der Aufbau einer neuen Liebe bei gleichzeitiger Zerstörung einer alten, die Fragilität von Familienstrukturen, der detektivische Ansatz, der die Geschichten strukturell zusätzlich miteinander verwebt, das Zerstückeln der Handlung in Kapitel und die damit zusammenhängende philosophische Frage, die sich aus den unterschiedlichen Versionen ergibt: was ist Wahrheit? Dem Glauben an eine objektiv gültige Wahrheit wird durch "The Affair" in jedem Fall der Nährboden entzogen.

Ray Donovan© ZDF/Michael Desmond

Doch nicht nur die Serie über die Familien Solloway und Lockhart wird von der Academy verschmäht, auch eine andere aktuelle Showtime-Serie hat es schwer. Anfang Mai ging "Ray Donovan" bei ZDFneo in die dritte Staffel und beendete die letzten Bilder der ersten Folge zum Song "Hotel California" von den Eagles. Beim Protagonisten, dem gefragten Problemlöser Hollywoods, häuften sich die beruflichen, wie privaten Probleme in der zweiten Staffel, so dass zunächst alles in Scherben liegt. Seine Situation scheint der der Gäste des Hotel Californias vergleichbar: ein Entkommen ist schwer möglich, Himmel und Hölle liegen nah beieinander - privat, wie beruflich. Auch wenn der Titel mit "Ray Donovan" personalisiert ist, spielen die Familie und deren Herausforderungen im Umgang der einzelnen Mitglieder miteinander eine große Rolle. Wenn auch auf ganz andere Art und Weise als bei "The Affair".

Familiär bedingte, kriminelle Strukturen und daraus resultierende Probleme, die Inszenierung von alltäglicher Gewalt als probates Mittel bei der beruflichen Ausübung, Reichtum und Macht durch Grenzübeschreitung - auch wenn man dies in weit komplexerer Form schon bei Tony Soprano verfolgen konnte, so ist die Serie allein schon wegen eines charmant fiesen, opportunistischen Jon Voight in der Nebenrolle von Rays Vater Mickey Donovan sehenswert. Auch das wurde von der Auslandspresse honoriert. Der 78-Jährige wurde 2014 mit einem Golden Globe ausgezeichnet - bei den Emmys blieb die Serie bislang ohne Preis und komplettierte die Liste der "Snubs" in den letzten zwei Jahren. Aber immerhin standen er 2014 und Liev Schreiber im vergangenen Jahr wenigstens auf dem Nominierungszettel.

Ob die Ablehnung von Showtime-Serien bei der Academy System hat, vermag man an dieser Stelle nicht zu beurteilen. Allerdings konstatierte Marc Frost bereits 1990 nach nur zwei gewonnenen Preisen - von 14 Emmy-Nominierungen - für "Twin Peaks", dass die Academy konservativ und unflexibel sei. Auch wenn ein Gedankenspiel der Art "was wäre, wenn diese Serien bei HBO liefen" ungefähr so viel Tiefgang hat, wie beim Autowaschen die Frage des Nachbarn, ob man seines mitwaschen könne, drängt es sich doch irgendwie auf. Zumindest im Falle der aktuellen Serie "The Affair" wäre es interessant zu wissen, ob dies Auswirkungen auf das Urteil der Academy hätte. So aber bleibt es das, was es ist. Eine Vorstellung. Doch frei nach "The Affair" darf bekanntlich jeder seine eigenen Hirngespinste und Versionen entwickeln.

Am Donnerstag werden die Nominierungen für die diesjährigen Primetime-Emmys bekannt gegeben. Wie stark Showtime dieses Mal vertreten sein wird, lesen Sie im Laufe des Nachmittags wie immer bei DWDL.de.