"Herrschafde, jetzt seid doch mal ruhig!", sagt der Chef, als die neue Kommissarin sich nach der Besichtigung ihres ersten Toten auf dem Revier vorstellt, und kurz darauf sagt er noch: "Mord? Da isch mir wohl was entgange!" Stimmt, da isch ihm wohl was entgange: nämlich dass sonntags im Ersten keiner erwartet, dass ein schmieriger Typ aus dem Jobcenter "Selbschtmord" begeht, wenn es außenrum nur so von Seltsamen wimmelt, denen man bis kurz vor Filmschluss allen noch einen bunten Blumenstrauß an Motiven antackern kann. Aber jetzt ist ja Ellen Berlinger da, um das alles zu durchblicken.

So heißt Heike Makatsch in ihrem ersten (und vorerst vermutlich einzigen) "Tatort", der in Freiburg spielt und für den sich Jungregisseurin (Katrin Gebbe) und Autor (Thomas Wendrich) all das vorgenommen haben, was man sich halt so vornimmt, wenn man an Deutschlands bekannteste Fernsehkrimireihe rangelassen wird.

Makatsch spielt eine "verschlossene Einzelgängerin", die mit dem alten Saab aus ihrer bisherigen Wahlheimat London hergefahren kommt, weil's mit dem Flugzeug natürlich unpraktisch gewesen wäre und sie dann nicht so dekorativ mit dem Lenkrad auf der falschen Seite überm gelben Nummernschild hätte sitzen können. Und die Geschichte soll einen "Blick hinter die Fassaden" der Stadt mit ihrem viel zu positiven Öko-Image werfen. Zugleich schmückt sich die Produktion aber damit, dank umweltschonender Produktionsmethoden (mit Akkus und Bio-Catering) der erste Öko-Fernsehkrimi des Landes zu sein. Das Ergebnis ist nicht nur klima-, sondern auch weitgehend spannungsneutral geworden.

Aber das liegt eher nicht an Makatsch, obwohl die in ihrer Rolle schon in den ersten fünf Minuten so ziemlich alle Klischees erfüllen muss, die man "der Neuen" eben so andichten kann. Mit beuligem Jeanshemd, ausgewaschener Jacke und großstädtischer Skepsis inspiziert sie ihre erste Breisgauleiche, während ihr der blöde Kollege von der Spusi schon 'nen Spruch drückt: "Dürfen Sie überhaupt hier sein? Oder haben Sie nur'n Ball verschluckt?"

Ja, sie darf (hiersein), und nee: hat sie nicht (Ball). Berlinger ist schwanger, und damit ist ihr bisheriger BKA-Undercover-Auftrag in London erledigt, weshalb sie in die Heimat zurückkehrt, die sie vor 15 Jahren mit ordentlich Familienkrach verlassen hat, wie der Film mit rätselhaften Szenen erklärt, in denen Berlinger wie ein Einbrecher ums Haus ihrer demenzerkrankten Mutter (Angela Winkler) herumschleicht.

Anders gesagt: Makatschs Figur hat exakt den Knacks verpasst bekommen, den Kommissare halt so brauchen, um für den "Tatort" interessant zu sein.

Und das wäre in Ordnung, hätte sich "Fünf Minuten Himmel" damit zufrieden gegeben, die seltsame Frau einen interessanten Krimi aufklären zu lassen. Irgendwer bestand jedoch darauf, eine gesellschaftskritische Sozialstudie mit Teenager-Drama dranzuhängen, um "Deutschlands südlichste Großstadt" (Synonymhorror aus dem SWR-Pressextext) mal von einer ganz anderen Seite zu zeigen: düsterer, ärmer, problemiger.

Anders gesagt: Freiburg hat exakt den Knacks verpasst bekommen, den Städte halt so brauchen, um für den "Tatort" interessant zu sein.

Oder wie die Mitarbeiterin im Jobcenter gleich zu Beginn üfeststellt: "Des isch e typische Fall von Realitätsverluschd." Überhaupt wird in den ersten zwanzig Minuten soviel Badisch gesprochen, dass die Videotextuntertitel vor lauter Schreck eigentlich von alleine anspringen müschde. "Weischd?", sagen die "Herrschaffde", "Des kann i Ihne zeige" und "Isch prüfbar, Mäusele". Makatsch hat zwar nicht Badisch gelernt, aber Polizeideutsch und sagt: "Diesen Brief bitte einmal auf alles untersuchen!"

Fünf Minuten Himmel© SWR/Zieglerfilm

Sobald das Drama aber seinen Lauf nimmt, ist der Dialekt fast ganz vergessen. Und Berlinger kann sich ganz auf ihren Spürsinn konzentrieren, der ihr sagt, das was faul ist im Städtle Freiburg: Ein fieser Bau-Unternehmer will eine arme Hartz-IV-Familie aus der gentrifiziergeeigneten Bruchbude schmeißen, für deren Miete bisher der tote Onkel vom Amt die Miete überwiesen hat. Gleichzeitig spielt sich auf dem Pausenhof der örtlichen Schule ein Eifersuchtsdrama zwischen Teenie-Freundinnen ab, die denselben Typen süß finden und die Zeit zwischen Algebra und Photosynthese damit vertreiben, sich gegenseitig bis zur Kurzohnmacht die Luft wegzudrücken. (Klar, dass beide Handlungsstränge am Schluss zueinander finden.)

Einerseits kann die ARD-Zielgruppe danach von sich behaupten, schon mal von "Bio-Kiffen" gehört zu haben, bevor es in ein paar Monaten neues "Jugendwort des Jahres wird".

Andererseits dürfte die Pausenaufsicht an Deutschland Lehranstalten nach den Osterferien stark damit beschäftigt sein, den zukünftigen Rentenzahlern des Landes beizubringen, dass man nicht alles nachmachen soll, was man abends im Fernsehen sieht. (Auch nicht das im öffentlich-rechtlichen.)

Unterm Strich ist Makatschs "Tatort" leider ziemlich überladen: mit zu vielen kaputten Typen, zu vielen persönlichen Konstellationen und einer Auflösung, gegen die selbst Til Schweigers Brutalo-"Tatorte" glaubwürdig wirken.

Trotzdem wäre es schade, wenn Ellen Berlinger nach diesem "Special" nicht mehr zurückkehren würde. Freiburg jedenfalls wird künftig von Hans-Jochen Wagner, Eva Löbau und Harald Schmidt "Tatort"-belegt sein, wie der SWR vor einigen Wochen bekannt gegeben hat (DWDl.de berichtete). Dann ist erstmal Schluss mit Außenseitern und die Sinne darf bestimmt extrahell scheinen. Weil Makatsch die Kommissarin aber durchaus glaubwürdig und vielseitig spielt, wird sich im SWR-Sendegebiet ja wohl ein anderes Städtchen finden lassen, in dem verschlossene Einzelgängerinnen hinter irgendwelche Fassaden gucken können. Weischd?

"Tatort: Fünf Minuten Himmel", Ostermontag um 20.15 Uhr im Ersten.