"Das ist unser Smudo hier", sagt Kapitän Fritz, als er der Mannschaft in der Kombüse den Neuen vorstellt. "Stabile Beine hat er, und gut sieht er aus." Aber da ahnt unser Smudo noch nicht, dass er beides bald mit weichen Knien und einem Bleichgesicht tauschen wird. Mitten auf dem Meer, irgendwo zwischen Dänemark und Norwegen, wo ProSieben ausprobiert hat, was passiert, wenn ein Stuttgarter Deutschrapper auf einem norddeutschen Fischkutter anpackt.

Das Ergebnis ist am Montagabend in der ersten Folge von "In the Box" zu sehen, bisher bekannt als "Schulz in the Box" mit Olli Schulz, der inzwischen wieder bei ZDFneo angeheuert hat und für die Fortsetzung der kleinen Reihe von wechselnden Prominenten aus dem ProSieben-Umfeld vertreten wird.

Die Grundidee bleibt dieselbe: "Was wäre, wenn ich mich für einen anderen Lebensweg entschieden hätte? Wäre ich dann zufriedener? Glücklicher?", fragt Smudo sich im Intro und lässt sich in eine Holzkiste packen, um dieser an einem ihm unbekannten Ort wieder zu entsteigen und dort das Leben der anderen zu erfahren. Der Ort heißt in diesem Fall "J. von Cölln", riecht nach Diesel, Bratfisch und Fett und macht Geradeauslaufen bei Wellengang zur echten Herausforderung. Denkt Smudo, bis er "Herausforderung" nochmal neu buchstabieren lernt, als mitten in der Nacht das 140 Meter breite Netz eingeholt werden soll: "Und dann geh ich so rauf aufs Deck. Und da wird mir eines klar: Das ist einer der gefährlichsten Jobs der Welt!"

Der Kutter wippt auf dem rabenschwarzen Meer so irre auf und ab, dass jede Kirmesattraktion ein Scheiß dagegen ist. Der Wind zerrt, die Fische zappeln, das Netz rasselt, und kurz darauf muss im Schlachtraum jeder mitanpacken: den Fang aufschlitzen, Gedärme raus, in die Maschine, über die Rutsche, ab ins Eis.

Smudo in the Box© Screenshot: ProSieben

"Ich brauch 'ne Dusche und 'n Schnaps", gibt Smudo nach der Nacht zu Protokoll. Aber stattdessen gibt's erstmal Frühstück. Bratfisch natürlich.

Ein paar Stunden später geht der Spaß von Neuem los. Und die Fischer spötteln über ihren "Siebenschläfer", der morgens nicht aus den Federn kommt und sich beim Netzeinholen so schusselig anstellt. Der gesteht völlig erledigt und seekrank: "Das ist alles nicht so leicht: Nur drei Stunden geschlafen, nix gefrühstückt, meterhohe Wellen und jeder hat'n guten Spruch."

Smudo in the Box© ProSieben

Mit "In the Box" hat sich ProSieben einen kleinen Goldschatz ins Spätprogramm gehievt, der – sorry, Olli – auch ohne seinen Pionier ziemlich gut funktioniert. Der Auftakt mit Smudo ist jedenfalls kein braves Jobporträt, bei dem der Promi nickend daneben steht, während die anderen die Arbeit machen. Sondern eine knallharte Demonstration, wie der Seelachs wirklich aufs Fischbrötchen kommt. Die Sendung belehrt nicht, wertet kaum und zeigt ohne Schönreden, wie sich das anfühlt, einen Job zu machen, bei dem man an schlechten Tagen gegen den Wind kotzen muss.

Vor alle schafft sie es, ihre Zuschauer mit aufs Schiff zu holen: Wenn Smudo nach der Hälfte schon ziemlich lädiert schildert, wie unfassbar alles lärmt, stinkt und zappelt, dann hört und riecht man das zuhause längst auch.

Das liegt zum einen an der hervorragenden Arbeit des Kamerateams der Produktionsfirma Florida TV, das sich nicht zu schade war, Smudo auf dem kleinen Kutter wirklich auf Schritt und Tritt zu folgen und selbst dann noch zu drehen, wenn der bereits geschnarcht hat. Sondern auch an der wahnsinnig modernen Inszenierung, den ungewöhnlichen Perspektiven (einmal hängt die Kamera vorn am Bug und schießt durchs Wasser) und der perfekt zum Geschehen passenden Musik. Wenn die Männer das Netz einholen, pocht im Hintergrund Marterias "Bengalische Tiger", zum Wellengang läuft der "Vikings"-Soundtrack "If I had a Heart", und als Abschlussgag "Tag am Meer" von den Fantastischen Vier.

Smudo in the Box© Screenshot: ProSieben

Noch dazu ist "In The Box" eine der wenigen Sendungen im deutschen Fernsehen, die sich eine Art Instrumental erlauben – Szenen, in die niemand reinquasselt, die einfach nur die Ruhe nach dem Fang zeigen: den pofenden Azubi auf der Bank, die schwankenden Kochutensilien im Seegang, den Sonnenaufgang überm Meer. Das ist auch fürs Publikum eine kurze Verschnaufpause.

Natürlich lebt das Experiment in erster Linie von der Bereitschaft der Promis, sich auf die Situationen einzulassen, in die sie – vermutlich nicht ganz so unvorbereitet, wie es suggeriert wird – geschubst werden. Und die nachträglich eingefügten Kommentare, in denen das Geschehen aus der Box geschildert wird, als passiere es gerade erst, sind ein Kunstgriff. Aber der funktioniert.

So wie bei Sido, der in der kommenden Woche auf einem Friedhof von einem freundlichen Bestatter zur Arbeit abgeholt wird. Ein paar Minuten später steckt "Siggi", wie Sido sich nennen lässt, schon im schwarzen Ehrenkleid, kriegt beim Krawattenbinden geholfen und holt seinen ersten Verstorbenen in der Kühlkammer ab, um ihn zu waschen und sich Gedanken über die Grabrede zu machen, die er halten wird. (Die Angehörigen haben zugestimmt.)

Sido in the Box© ProSieben

Nun ist der Einblick ins Bestatterwesen im deutschen Fernsehen spätestens seit Charlotte Roches TV-Berufspraktikum vor acht Jahren keine besonders neue Idee mehr. Und doch gerät "Sido in the Box" zu einer erstaunlich ernsten, trotzdem humorvollen und fast sogar tiefgründigen Erfahrung: Weil sich Siggis Kollege Gert ("Gerti") hervorragend mit seinem Azubi versteht ("Anschnallen! Wir wollen ja nicht unsere nächsten Kunden sein"), der mit großem Reflektionswillen die Gepflogenheiten des Berufs erlernt und sich im Krematorium fragt: "Wor sind all die Seelen hin?" – beziehungsweise, soviel Gestänker muss erlaubt sein: "Gibt's nicht auch'n Schlager, der so heißt? Oder ein Lied von Olli Schulz?"

Es ist etwas kurios, am späten Montagabend einen der bekanntesten deutschen Rapper bei ProSieben übers Sterben reden zu hören, während er gerade Sarggriffe anschraubt. Aber genau das macht "In the Box" ja so besonders: weil die Zuschauer Leuten, die sie aus dem Fernsehen zu kennen glauben, dabei in Situationen zusehen können, die den Profis völlig fremd sind. (Und um die tatsächlich ganz erstaunliche Grabrede eines Herrn zu hören, der früher mal eine silberne Totenkopfmaske vorm Gesicht trug.)

Im Privatfernsehen gibt es derzeit wenig Vergleichbares. Oder wie Kapitän Fritz unserm Smudo sagt, bevor der wieder festen Boden unter die Füße kriegt: "Bist ausbaufähig!"

ProSieben zeigt vier neue Folgen "In the Box" ab sofort montags um 23.10 Uhr. Nach Smudo und Sido sind Palina Rojinski und Michi Beck dran.

Mehr zum Thema: