Noch eine Woche, dann hat ihn RTL wieder ganz für sich. Dann ist für Günther Jauch das Abenteuer ARD beendet, dann darf er wieder sein, wer er ist und nicht wer er sein sollte. Er hat es dann besser. Sonntags wieder frei, mehr Zeit für den eigenen Weinberg und nicht mehr diese hässlichen Erwartungen im Rücken, die davon ausgingen, Jauch sei ein Mann für den politischen Talk.

Am 29. November wird er gegen 22.45 Uhr zum letzten Mal zu Thomas Roth schalten und den scheinheilig fragen, ob er denn wisse, was die Tagesthemen seien. Danach gehen die Lichter aus im Berliner Gasometer, und der große Irrtum Jauch ist fürs Erste beendet, wenn man mal absieht von seinem Einsatz als „Gast“ in Frank Plasbergs „2015 – Das Quiz“ (29. Dezember, 20.15 Uhr, Produktion: Jauchs I & U Information und Unterhaltung TV Produktion).

Man hätte auch schon vor dem 11. September 2011 drauf kommen können, dass Günther Jauch keiner ist, der in irgendeiner Weise zur Aufklärung der politischen Verhältnisse beitragen könnte. Wer das wirklich glaubte, nahm auch an, dass bei Fußballverbänden alles korrekt zugeht und dass bei Autos hinten nur das herauskommt, was in den Papieren steht. Unter den Gläubigen befanden sich erstaunlich viele ARD-Intendanten und ARD-Gremienmitglieder. Letztere hatte Jauch in zuvor gescheiterten Verhandlungen mal Gremlins getauft und damit seinen letzten relevanten Beitrag zur öffentlichen Debatte geliefert.

Intendanten und Gremlins einte damals die Gier nach Bedeutung und Quotengeilheit. Sie dachten so wie sie nun mal strukturiert sind: Wir kaufen einen großen Namen und haben dann eine große Geltung – Honorar Nebensache. Spätestens der Fall Gottschalk mit der fürs Nichtstun gezahlten Millionengage dürfte allerdings selbst den Hierarchen das rosarote Brillchen von der blassen Nase gefegt haben. Und Jauch dürfte so nebenbei der Illusion beraubt worden sein, dass sein Salär noch lange geheim zu halten wäre.

Ob es die Gottschalk-Affäre war, die Angst vor Öffentlichkeit in Honorierungsfragen oder schlicht die Einsicht, dass er das mit dem Polittalk einfach nicht drauf hat, weiß man nicht. Wichtig ist, dass Jauch im Juni eine eilfertig angediente Vertragsverlängerung ausschlug. Aus der Jauch.

Man sollte zu seinen Gunsten annehmen, dass es späte Einsicht war, die ihn zum Abschied trieb. Möglicherweise hat er nach langen Jahren des Strebens doch noch gemerkt, dass man an eine Polittalkshow nicht mit den gleichen Mitteln herangehen kann wie an eine „Stern TV“-Ausgabe.

Ein guter Polittalk benötigt einen Moderator, der diesen Titel rechtfertigt. Jauch war in diesem Sinne nie Moderator, allenfalls ein serviler Kellner, der das kredenzte, was ihm die Redaktion aufs Tablett gepackt hatte. Er mühte sich, ein passabler Gastgeber zu sein, er tat so, als mische er sich ein, als lenke er irgendetwas. In Wahrheit hat er die Dinge meist laufen lassen und ist vor allem seinen Boulevardreflexen gefolgt.

Besonders bitter stieß das auf, als sich Jan Böhmermann im März des Varoufakis-Interviews in der Jauch-Sendung annahm und die deutsche Medienöffentlichkeit für 24 Stunden in die Annahme versetzte, er und sein Team hätten die von Jauch bis zum Erbrechen ausgekostete Stinkefingerpassage in einer Varoufakis-Rede selbst gefälscht. Jauch stand für kurze Zeit da wie ein begossener Pudel, und selbst als herauskam, dass die Böhmermann-Behauptung von der hauseigenen Fälschung gefälscht war, trocknete sein Fell kaum.

Böhmermann hatte sein Ziel erreicht, hatte den vermeintlichen Bloßsteller bloßgestellt und öffentlich herausgearbeitet, mit welch billigen Mitteln sich Jauch durchmogelt. Nicht die politischen Fakten in der Griechenlandfrage hatten ihm am Herzen gelegen, sondern nur die Gier nach der Entlarvung einer harmlosen Handbewegung, die er als Pose deuten wollte, weil das seine politische Überzeugung fütterte. Auf einmal stand der Talkkönig Jauch da wie der Kaiser ohne seinen neuen Kleider.

Es ist ja nicht so, dass Jauch nichts kann. Er kann toll menscheln. Er kann Interesse zeigen, wenn es um Schicksal geht. Er ist quasi Markus Lanz im Gewand des grummeligen Onkels. Wenn Jauch Schicksal wittert, ist er wach. Eine ganze Sendung lang. Belegen kann man das sehr schön mit der Sendung vor zwei Wochen. Da war Guido Westerwelle zu Gast und berichte von seiner Krebserkrankung. Heissa, wie Jauch da zu tänzeln wusste! Er war präsent, er erschlaffte kaum und tat alles, um politische Relevanz gar nicht erst aufkommen zu lassen. Zwar startete er pro forma den einen oder anderen Versuch, Westerwelle zur aktuellen Lage zu befragen, aber so, wie er das tat, waren das lediglich Scheingefechte. Geradezu erleichtert wirkte Jauch, als Westerwelle abwehrte und der Gastgeber das Schiff wieder zurücklenken konnte in die seichte See der Schicksalshaftigkeit.

Er hat es einfach nicht mit der Politik. Er ist ein politisch interessierter Mensch, keine Frage. Aber das ist Stefan Raab auch. Es gehört indes eine Menge mehr als nur Interesse dazu, wenn man solch eine Gesprächsrunde führen will. Da muss der Moderator sehr präsent sein und mehrere Ebenen koordinieren und kontrollieren. Er muss ein Konzept haben, er muss Fragen stellen, er muss zuhören, er muss die Antworten koordinieren, er muss reagieren, Gesprächsteilnehmer vernetzen, und er muss einschreiten, wenn es aus dem Ruder läuft. Alles zur selben Zeit.

All das kann Jauch nicht. Am besten konnte man das sehen, als er kürzlich den AfD-Politiker Björn Höcke einlud und dieser sehr clever die Gesprächsführung übernahm. Schon nach kurzer Distanz kapitulierte Jauch sichtlich und begnügte sich mit eher braven Einwürfen. Es mussten dann seine Gäste einschreiten und dem Tun des Herrn Höcke wenigstens halbwegs Einhalt gebieten. Das kann man tun, wenn man als Moderator auch ein guter Regisseur ist. Man lässt dann die Dinge laufen, weiß aber zu jeder Sekunde sehr wohl, wie sie laufen und wie sich weiter entwickeln. Jauch indes wirkte, als wisse er gar nichts mehr, als hoffe er jeden Augenblick auf die erlösende Ansage von oben: „Der kleine Günther möchte aus dem Politbällebad abgeholt werden.“

Im Prinzip war Jauchs Höcke-Sendung die beste Werbung für die in der ARD verbliebenen Talker, für Frank Plasberg, Sandra Maischberger und Anne Will, die es alle besser machen als der einst hochgelobte Sonntagsplauderer. Im Prinzip wirkte die Sendung wie eine wunderbare Vorlage für seine Vorgängerin und designierte Nachfolgerin. Jauch hat die Latte so tief gelegt, dass Anne Will selbst mit Pantoffeln spielend drüber käme.

Natürlich argumentieren einige, besonders einige in höheren ARD-Etagen, gerne noch mit den bezaubernden Quoten, die Jauch einfuhr. Am vergangenen Sonntag hat er wieder schwer abgeräumt mit seiner Diskussion über die Anschläge von Paris. Aber das war wohl eher dem Interesse am Thema geschuldet als Jauchs Gesprächsleitung, die sich aufs Abarbeiten von Stichworten beschränkte.

Wer Jauch also wegen seiner Quoten lobt, gehört umgehend aus dem Amt gejagt. Zum einen muss man nach dem „Tatort“ schon sehr viel mehr als Jauch falsch machen, um keine Quote zu machen, und zum anderen ist der Sonntagabend nun mal just der Platz, den sich prominente Gäste sehr gerne aussuchen, weil sie die Chance wittern, die Wochenagenda bestimmen zu können. Mag Plasbergmaischbergerwill gelegentlich mit noch so viel Relevanz aufwarten, es gilt doch bei den Gästen und nicht nur bei denen: Sendeplatz vor Inhalt.

Jauchs Abschied kann ein Befreiungsschlag fürs Erste sein. Wenn die Hierrachen halbwegs klug mit Anne Will verhandelt und nicht arg zu viel als Kompensationszulage für die erlittene Schmach der einstigen Vertreibung vom Sonntag in die Verträge geschrieben haben, dürfte am Ende sogar ein bisschen Geld übrigbleiben. Ein Gewinn für die ARD in doppelter Hinsicht.

Auch für Günther Jauch könnte 2016 ein schönes Jahr werden. Er hat dann mehr Zeit für seinen Weinberg, für noch mehr RTL-Shows, die seine Firma produziert. Ja, er könnte sogar wieder den Werbeonkel spielen und den Regenwald retten.

Insofern ist der 29. November ein guter Termin. Für alle.