Es gibt ungeschriebene Gesetze im Fernsehen. Selten gelingt es einer Fernsehserie beispielsweise im Laufe einer Staffel signifikant Zuschauer zu gewinnen, weil besonders eine fortlaufende Handlung einen späteren Einstieg erschwert. In der Regel geht es also von der aufwändig beworbenen Auftaktepisode nur in eine Richtung: abwärts. Die spektakuläre Ausnahme ist hier „Empire“. Die US-Serie rund um das Imperium eines New Yorker Hip Hop-Moguls mit Terrence Howard in der Hauptrolle des Lucious Lyon ist der Regelbrecher des Jahres im US-amerikanischen Fernsehen und das in mehr als nur einer Hinsicht. Nach dem Start der Serie am 7. Januar dieses Jahres gewann „Empire“ Woche für Woche neue Zuschauer dazu - und das zum Erstaunen der gesamten Branche zehn Wochen lang bis zum Finale der ersten Staffel am 18. März. Aus ursprünglich 9,9 Millionen Zuschauer wurden am Ende 17,62 Millionen. Sich im Lauf der ersten Staffel um über 80 Prozent zu steigern, gelang zuletzt der Serie "Men in Trees" im Jahr 2006. „Empire“ wurde zur Überraschung der US-Fernsehbranche und insbesondere Fox in kürzester Zeit zum Kult. Anders als etwa beim „Breaking Bad“-Spinoff „Better Call Saul“ waren die Erwartungen im Vorfeld nicht besonders hoch.



Die Serie erzählt die Geschichte des inzwischen gealterten Hip Hop-Stars Lucious Lyon, der mit seiner Plattenfirma Empire Entertainment an die Börse gehen will. Doch die Diagnose der tödlichen Nervenkrankheit ALS zwingt ihn dazu, sein Vermächtnis zu klären. Welcher seiner drei Söhne soll in nicht allzu ferner Zukunft die Führung seines Imperiums übernehmen? Noch dazu holt ihn ausgerechnet in dieser schwierigen Planung der Zukunft seine Vergangenheit ein: Die Mutter seiner Söhne, Cookie Lyon (wunderbar gespielt von Taraji P. Henson), kommt vorzeitig aus dem Knast - wo sie für Lucious einsaß. Die Grundlage für ein episches Familiendrama voller Intrigen ist damit gelegt. „Empire“ ist „Dallas“ im 21. Jahrhundert. J.R. ist jetzt schwarz - wie auch der Großteil des Casts. Die Serie ist so etwas wie das dicke fette Ausrufezeichen hinter dem wichtigsten Schlagwort des US-Fernsehens der letzten Jahre: Diversity. Dass einer der drei Söhne von Lucious Lyon auch noch schwul ist, krönt dies. „Empire“ bringt die schwarze Hip Hop-Kultur so prominent ins US-Fernsehen wie keine andere TV-Produktion zuvor - und fordert sie gleichzeitig heraus.

Ein deutsches Wort wurde in den USA oft genutzt, um die Serie zu beschreiben: Sie treffe den Zeitgeist. „Empire“ ist ein sehr ernstes Gesellschaftsportrait, verpackt als flott erzählte Primetime-Soap mit erfreulich gut gezeichneten Charakteren. Im Mittelpunkt stehen dabei stets die drei Söhne: Der fleißige Andre (Trai Byers) mit Persönlichkeitsstörung, der musikalisch talentierte aber nicht besonders clevere Hakeem (Bryshere Y. Gray) und eben Jamal, der Schwule. Wenn seine Mutter Jamal gegenüber dem homophoben Vater im Original mit den Worten: "I want to show you a faggot can really run this company“ verteidigt, dann bleibt die deutsche, neutralere Übersetzung mit "Ich will dir zeigen, dass ein Schwuler die Firma führen kann" leider dahinter zurück. Es fällt eben schwer eine sich besonders über Sprache definierende Subkultur ins Deutsche zu übersetzen, ohne dabei etwas zu verlieren. Die Antwort auf die Frage, ob der spezielle Look und das Setting von „Empire“ in Deutschland ähnlichen Zuspruch finden wird, geben die Einschaltquoten morgen früh. Die Geschichte der Serie und ihre Charaktere hätten es verdient, denn das Familiendrama ist ein bewährtes, wie die Serie auch selbst zu Beginn mit Anspielung auf Shakespears König Lear zu verstehen gibt.

Wer „Dallas“ mochte, wird „Empire“ mögen: Gehandelt wird nicht mehr mit Öl, sondern Ruhm und Entertainment. Dem US-Network Fox würde es gefallen, wenn sich „Empire“ auch in zukünftigen Staffeln als ein so epischer Erfolg erweisen würde. Dort jubelte man schon über das Zielgruppen-Rating (18-49) von 3,8 zum Start der Serie im Januar. Doch bis zum Finale der ersten Staffel steigerte sich das gar auf herausragende 6,9. Man muss bis ins Jahr 2008 zurück gehen, um eine regulär programmierte Serienfolge auf einem der US-Networks zu finden, die noch erfolgreicher war - hinter den “Super Bowl" programmierte Serienfolgen ausgenommen. Damals gelang das "CSI". Auf die gesamte Staffel betrachtet ist "Empire" damit derzeit in der Zielgruppe die erfolgreichste Network-Serie im US-Fernsehen. Den jahrelange Marktführer "The Big Bang Theory", der in der vergangenen TV-Saison ein ganzes Stück unter den Vorjahreswerten lag, konnte "Empire" deutlich auf Rang 2 verweisen. Mehr junge Zuschauer als „Empire“ hat im US-Fernsehen einzig noch "The Walking Dead" beim Kabelsender AMC.

Die Serie ist in den USA übrigens mehr als nur ein TV-Erfolg. Sie ist ein regelrechtes Kulturphänomen geworden: Der Soundtrack stürmte auf Platz 1 der Billboard-Charts - und sorgte dafür, dass Madonna zum ersten Mal seit 1998 mit einem neuen Album nicht auf Platz 1 einstieg. Dass ein Soundtrack einer Network-Serie an die Charts-Spitze klettert, war zuletzt "Glee" gelungen. Während die in Deutschland gefloppte Musicalserie jedoch einzig über ihre Musik und Musical-Acts funktionierte, liegt tief unter all den Goldketten, Klunkern und Sonnenbrillen von „Empire“ eine starke Geschichte, getragen von einem wunderbaren Cast. Allen voran Taraji P. Henson alias Cookie Lyon. Allein für sie lohnt sich das Einschalten.