Es ist ja sehr leicht, auf die Regionalmagazine in den Dritten einzudreschen. Diese unglaubliche Mischung aus Biederkeit und hysterischem Boulevard ist sehr oft sehr unerträglich. Das gilt für viele Sender, und zu recht wurde schon häufig darüber geklagt. Aber es ist nicht alles schlecht im Dritten.

Ein schönes Gegenbeispiel liefert ein Mann mit Glatze. Er ist 46 Jahre alt, stammt aus dem Allgäu und hat in Düsseldorf eine Heimat gefunden. Er heißt Christian Dassel und liefert dem WDR-Regionalmagazin „Aktuelle Stunde“ (AKS) seit 20 Jahren jene Filme zu, die aufhorchen lassen. Wenn Dassels Filme laufen, scheint für einen Moment die Zeit stillzustehen. Nicht dass er sensationelle Neuigkeiten verbreiten würde. Im Gegenteil. Oft sind seine Filme erstaunlich informationsarm. Dafür haben sie aber eine andere Qualität. Sie zeigen ganz normale Menschen ganz nah. So nah, dass ihr alltägliches Tun plötzlich sehr interessant wirkt. Christian Dassel legt quasi die Lupe über die Bilder, und auf einmal wird das Kleine sehr, sehr groß.

Lange hat das niemand so richtig zur Kenntnis genommen. Nur im Moment darf sich Dassel über ein wenig Aufmerksamkeit freuen, denn er ist für den Grimme Online Award nominiert. „Onkel Willi“ heißt das Projekt, das als Pageflow-Format angelegt ist und die Geschichte erzählt von einem Straßenmusiker namens Onkel Willi. Der gehört in Münster quasi zum Stadtinventar, und Dassel hat mit ihm eine Abmachung getroffen. Er wird den 70-Jährigen begleiten bis zum Ende seines Lebens.

„Onkel Willis Grab wird mutmaßlich das letzte Bild sein“, sagt Dassel, der schon vor einiger Zeit auf die Münsteraner Original aufmerksam wurde. Ein paar Filme hat er über ihn gedreht, dann aber irgendwann mit dem Multimediaformat Pageflow die beste Form gefunden, das Thema aufzubereiten. „Das ist wie für mich gemacht“, schwärmt er, und die Schwärmerei zeigt, mit welcher Leidenschaft Dassel bei der Sache ist.

Christian Dassel und Onkel Willi© WDR

Die Leidenschaft ist auch der Netz-Doku anzumerken. Es ist großes Kino in zurzeit 16 Kapiteln. Die Story wird noch länger werden, aber für den Moment ist das jetzt der Stand von Onkel Willis Leben. Bemerkenswert ist vor allem die Aufgeräumtheit der Geschichte, die klare Gliederung und die ästhetische Wucht. Jedes Bild in dieser Geschichte ist ein kleines Gemälde, jedes Bild erzählt eine zusätzliche Geschichte.

Zu verdanken ist das den Familienbanden, die Dassel halten. Sein Bruder Markus ist sein Kameramann, und man kann ihn nach all dem, was man in den Jahren von ihm gesehen hat, begnadet nennen. Seine Bilder sind keine einfachen Fernsehbilder, seine Bilder sind oft sehr nah an der Kunst.

Gemeinsam führen die Dassels die Düsseldorfer Firma Klarlogo. Dritter Mann im Bunde ist Jürgen Schulte, der gleichzeitig auch Partner von Frank Plasberg in der Firma Ansager & Schnipselmann ist, die im gleichen Haus wie Klarlogo residiert.

Die räumliche Nähe hat auch eine inhaltliche Komponente, denn Plasberg war es, der den jungen Christian vor Jahren animierte, zur AKS zu kommen. Plasberg hatte den jungen Christian kennengelernt, als er für dessen Vater bei der Schwäbischen Zeitung tätig war. Dassel nennt Plasberg seinen journalistischen Ziehvater.

Wenn einer so sehr aus dem Rahmen fällt wie Dassel das bei der AKS tut, dann liegt die Frage nahe, ob sich so jemand nicht zu Höherem berufen fühlt. Sollte nicht die Welt oder wenigstens die Republik von diesen Qualitäten profitieren können? Nicht nur der WDR?

Dassel verneint und weiß auch warum. „Ich finde es wahnsinnig schwierig, neu irgendwo reinzukommen“, sagt er und singt das Loblied der Beständigkeit. „Ich bin bei der Aktuellen Stunde genau richtig. Das ist die beste Redaktion, die ich mir für mich vorstellen kann“, sagt er. Die lassen ihn machen, die kennen seine Qualitäten, die vertrauen ihm.

Im Winter lassen sie ihn für die Reihe Adventskalender durch Nordrhein-Westfalen reisen. An jedem Sendetag berichtet er von einem anderen Ort, an jedem Sendetag gibt es einen neuen Dassel.

Christian Dassel© WDR

Und im Sommer schicken sie ihn regelmäßig in einem VW-Bus, Jahrgang 1972, auf Tour und senden, was er schickt. Nächste Woche geht es wieder los. Dann setzt sich Dassel hinters Steuer und fährt auf den Balkan. Sechs Länder in sechs Wochen will er erleben und schauen, was da so los ist in den Ländern, denen man sonst nur in Problemberichten und beim Eurovision Song Contest begegnet.

Schauen, was da so ist. Das kann er. Dassel kann sehr gut Menschen aufschließen. Er stellt einfache Fragen, und er hat die Geduld auf spannende Antworten zu warten. Das Ergebnis sind großartige Fernsehmomente, die zeigen, wie groß das Kleine im Leben wirken kann, wenn man es nur von der richtigen Seite beleuchtet.

Über die Nominierung für den Grimme Online Award hat Dassel sich wahnsinnig gefreut. Für die Verleihung am 18. Juni in Köln unterbricht er sogar seine Balkan-Tour und kommt eingeflogen. Auch Onkel Willi will er dann mitbringen, und wenn alles so läuft, wie es laufen sollte, wird endlich mal einer geehrt, der das Fernsehen auch dort schön zu machen versteht, wo es ansonsten meistens nur wehtut.