Man ist ja als Journalist in der Regel sehr alleine bei Interviews. Ein Schauspieler, Popstar oder sonstwie Verhaltensauffälliger sitzt gegenüber, und wenn man Pech hat, hockt ein paar Meter noch ein PR-Mensch, der später die Zitate bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln wird. Man ist allein und weiß also nicht wirklich, ob die Kollegen genau so arbeiten. Sind die besser? Sind die schlechter? Nein, schlechter sind die nicht. Die schreiben so tolle Artikel, dass man sich stets wundert, warum man selbst immer so unterdurchschnittliche Interviews führt.

Wenn mich solche Fragen und die daraus resultierenden Depressionsanfälle quälen, freue ich mich immer, wenn ich zu einem Roundtable gebeten werde. Roundtables sind so ein Ding zwischen Interview und Pressekonferenz. Drei, vier Kollegen hocken da einer wie auch immer gearteten Prominenz gegenüber und wechseln sich mit Fragen ab. Das spart dem Interviewten Zeit, und mir gibt es die Chance, mal wieder Interview-Bingo zu spielen.

Im Geiste habe ich bei solchen Anlässen ein inneres Bingo-Kärtchen parat. Auf dem stehen bestimmte Fragen, und wenn irgendwer die stellt, darf ich sie auskreuzen. Habe ich drei in einer Reihe erwischt, springe ich auf und rufe laut „Bingo!“

Nein, tue ich natürlich nicht. Ich schaue weiter in mich hinein, spüre aber in meinen Wangenknochen das zarte Zittern eines inneren Lachanfalls. Dafür lohnt sich der Job. Dass man Kollegen bei der Arbeit erleben und feststellen darf, dass die auch nur mit Wasser kochen.

Ich sitze also da und warte auf die Fragen-Klassiker. Bei Filmen etwa wird der Hauptdarsteller gerne zum Start mit der ultimativen Killer-Attacke konfrontiert. „Wie viel von Ihrer Figur steckt auch in Ihnen?“ Jau, ein Kreuzchen darf gemacht werden. Es gibt tatsächlich noch Schauspieler, die auf solche Fragen antworten, die so tun, als wären sie Fachleute auf einem Gebiet, obwohl sie doch lediglich nach einem Drehbuch agieren. Dass die Frage nach der inneren Beteiligung regelmäßig einer veritablen Beleidigung gleichkommt – geschenkt.

Vergangene Woche war das wieder sehr schön zu beobachten, als man Martina Gedeck, die eine Richterin in Neukölln spielte, nach den Verhältnissen in Berlins aufstrebendem Problemstadtteil befragte. Plötzlich ist ihre Meinung wichtig, maßgebend, berichtenswert. Genauso gut könnte jeder, der in dem Stadtteil lebt und mal Kontakt mit den Ordnungsbehörden hatte, Auskunft geben. Aber nein, es müssen ja vor Erkenntnis nur so tropfende Schauspielernasen befragt werden.

Die abstruse Steigerung findet dann noch statt, wenn Schauspieler, die in einem Film einen Menschen mit Problemen gespielt haben, in Talkshows geladen werden, um just über dieses Problem zu reden. Da sitzt dann im Extremfall Vroni Maschmeyer und kartoffelt herum, was sie über das Dasein als Zonenmutti weiß.

Aber zurück in die Interviewrunde. Sitzt in der auch ein besonders blondes Blondchen, dann folgt mit Gewissheit die Frage, wie es dem Schauspieler denn in der jeweiligen Stadt gefällt. Die Antwort lautet immer: Großartig. Great. I love it. Nie habe ich jemanden sagen hören, dass die Düsseldorfer Kö nichts weiter ist als eine flachgelegte Shopping-Mall für gelangweilte Millionärsgattinnen, dass Kölsch schmeckt wie Plörre, dass die Touristen in Berlin nerven wie hulle.

Ein Kreuzchen gibt es natürlich auch für die Fragen, ob Joko und Klaas sich auch im echten Leben nicht mögen, ob es Mick Jagger nervt, zum 7456. Mal „Satisfaction“ zu singen und ob die gerade anwesende Rumpelpumpelband ihr neues Album auch wirklich gut findet.

Da die meisten Objekte von Roundtables sehr prominent sind, fällt leider eine von mir heißgeliebte Frage an eher aufstrebende Kabarettisten und Komiker weg. „Was machen Sie eigentlich tagsüber?“ und „Können Sie davon leben?“ sind meine Lieblingsexemplare.

Ist indes ein Filmkritiker im Raum und der Interviewte ein berühmter Regisseur, dann kann es passieren, dass der Filmkritiker dem Macher erklärt, wie er seinen Film besser hätte machen können. Das ist schließlich das tägliche Geschäft der Kritiker, dass sie es besser wissen als die Akteure. Ich kenne mich da aus. Ich weiß es auch oft besser. Allerdings meist nur hinterher.

Leider sind Neukonzeptionierungsgespräche zwischen Regisseur und Kritiker in jüngster Zeit eher selten geworden. So etwas passiert höchstens noch bei Roundtables nach sehr langen Filmpremieren, bei denen es vorher viel zu trinken gab.

Mich erfrischen solche Ereignisse immer sehr. Danach fühle ich mich nicht mehr ganz so klein, und neulich habe ich mich erwischt, wie ich mir auf dem Heimweg selbst eine Frage gestellt habe. „Wie viel von diesem Teufelsjournalisten, den sie da jeden Sonntag darstellen, steckt eigentlich in Ihnen“, wollte ich wissen. Ich habe dann nicht geantwortet. Ich habe nur gesagt „great“ und „I love it.“