Das spanische Fernsehen sowie das damit verwandte lateinamerikanische Fernsehen hat seit vielen Jahren einen Einfluss auch auf den deutschen Markt. Der wichtigste Sat.1-Programmerfolg der vergangenen 10 Jahre, die Vorabend-Telenovela „Verliebt in Berlin“, basierte beispielsweise auf der kolumbianischen Produktion „Yo soy Betty, la fea“. Doch lateinamerikanische oder spanische Serien im Original gab es im deutschen Fernsehen so gut wie nie. Einmal im Jahr, bei der Verleihung der International Emmy Awards in New York, erahnt man wieso. Wenn dort Serien aus aller Welt zu begutachten sind, dann wirkt die Inszenierung von fiktionalen Stoffen etwa in Lateinamerika für unsere Sehgewohnheiten merkwürdig - aus zweierlei Gründen.



Einmal sind die Kulissen und Settings oft eher rudimentär, weil - zweitens - die Erzählungen gerade im Bereich des Herz-Schmerz-Fernsehens sehr theatralisch ausfallen. Große Gesten, entsetzte Gesichter, schallende Ohrfeigen - im spanischen und lateinamerikanischen Fernsehen darf es gerne etwas dramatischer sein. Lieber zu etwas viel als zu wenig, ist die Devise. Das weckt bei den Zuschauern - und besonders Zuschauerinnen - einfach mehr Emotionen. So jedenfalls erklären Produzenten aus Lateinamerika und Spanien beim Festival zu dem internationalen Fernsehpreis oft den etwas anderen Look; die etwas andere Inszenierung.

Und dann kam plötzlich „Grand Hotel“. In 3 Staffeln mit insgesamt 39 Folgen erzählt die Serie, die beim spanischen RTL-Sender Antena 3 lief und bei uns im PayTV bei Sony Entertainment Television und frei empfangbar beim Disney Channel läuft, vom Alltag im luxuriösen Grand Hotel der fiktiven Stadt Cantaloa, welches Familiensitz der Hoteldynastie Alarcón ist. Die Geschichten drehen sich um die Alarcón-Familie, ihre Angestellten und Gäste. Das Ensemble der Serie ist riesig. Für das nötige Drama sorgt ein zusätzlicher, leicht mysteriös angehauchter Plot: Ein Kellner hat sich ins Hotel einschleusen lassen, um das Verschwinden seiner Schwester aufzuklären. Dabei jedoch verliebt er sich in die Tochter des Hotel-Besitzers. Ein bisschen Telenovela und Krimi fehlen also auch nicht in dieser Hochglanz-Serie.

Hin und wieder wurde die von Ramón Campos und Gema R. Neira erfundene Serie als „spanisches Downton Abbey“ bezeichnet, weil die Geschichten auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielen und entsprechend Kostüme, Sprache und Konventionen der damaligen Zeit nicht unwesentlich zur Atmosphäre beitragen. Vielleicht jedoch greift dieser Vergleich zu hoch. „Grand Hotel“ kommt die Ehre zu Teil seit vielen Jahren die erste spanische Produktion zu sein, die es nach Deutschland schafft und unterhält bestens als Hochglanz-Telenovela mit einem Setting, dass einen in vergangene Zeiten abtauchen lässt.

Die Ebene der Gesellschaftskritik sowie die der Aufarbeitung historischer Ereignisse (Titanic-Untergang, Frauen in der Politik, erster Weltkrieg, Wandel der Gesellschaft), die „Downton Abbey“ über die zwischenmenschlichen Geschichten hinaus auszeichnet, fehlt „Grand Hotel“. Während der Vergleich also möglicherweise falsche Erwartungen weckt, überzeugt die spanische Serie - deren erste Staffel inzwischen bei uns auch auf DVD erschienen ist - mit der zusätzlichen Ebene der Mörder-Suche und einer hochwertigen Produktionsweise, die Spanien damit völlig zu Recht wieder zurück in die europäische Fernsehspitze führt. Der Druck der Wirtschaftskrise hat in Spanien zu einem Boom prestige-trächtiger Produktionen geführt.

Zeitgleich zu „Grand Hotel“ entstand in Spanien auch die sehr ungewöhnliche Krankenhaus-Serie „Polseres vermelles“ über eine Kinderstation und die Geschichten ihrer Patienten. Die Serie, die zwischen Drama und Comedy schwankt, wurde in den USA gerade von ABC Studios als "Red Band Society" für FOX adaptiert und feiert im Herbst Premiere. Der internationale Erfolg ist eine verdiente Folge einer Trotz-Reaktion auf die Krise: So als wolle ein Land zeigen: Wir sind wer. Auch aus Lateinamerika kommen inzwischen Serien, die spürbar mit Blick auf den internationalen Markt produziert wurden. Ein entscheidender Wandel, den wir bei Produktionen aus Deutschland noch zu selten erleben.