Aus der Not eine Tugend machen - es ist ein altbekanntes Sprichwort, das man sich bei Sport1 offenbar sehr zu Herzen genommen hat. Gemeint sind nicht etwa das angekündigte "Laufband-Quiz", das man für den Vorabend plant, oder der demnächst anstehende nächtliche Sex-Talk, mit dem der schwächelnde Spartensender vermutlich ein paar schlaflose Nachtschwärmer anlocken wird, nicht aber sein schmuddeliges Image abwerfen kann. Nein, viel mehr macht Sport1 regelmäßig immer dann aus der Not eine Tugend, wenn in der Champions League die besten Fußball-Mannschaften Europas aufeinandertreffen.

Für die millionenschweren Übertragungsrechte verfügt der chronisch klamme Sender zwar nicht über das nötige Kleingeld, dafür aber im Gegenzug über eine gehörige Portion Kreativität. Seit einiger Zeit lädt Sport1 nämlich inzwischen regelmäßig zum XXL-"Fantalk", um jene Fußballfans einzusammeln, die entweder kein Geld oder keine Lust haben, um sich die Champions League bei Sky anzusehen. Das übernehmen bei Sport1 andere. Deshalb saßen am Dienstagabend mal wieder Thomas Helmer und vier Kollegen in der Essener "11 Freunde"-Bar, um - ja, genau - über ein Fußballspiel zu sprechen, das nur sie sehen können.

Was zunächst klingt wie das Konzept einer Radioübertragung, die - aus welchen Gründen auch immer - im Fernsehen läuft, hat in Wirklichkeit durchaus Charme. Vorausgesetzt, man lässt sich auf das Experiment ein. Zwar weiß man als Zuschauer bis zum Schluss nie so recht, ob man nicht doch versehentlich in die Produktion eines Lokalsenders geraten ist, weil Gäste wie Sky-Kommentator Wolff-Christoph Fuss im Zweifel lieber das Livespiel schauen als den übrigen Gesprächspartnern in die Augen, oder Experte Peter Neururer zwischenzeitlich einfach aufsteht, um sich mal eben in eine Pinkelpause zu verabschieden. Doch irgendwie ist das alles egal. Das Format ist reichlich paradox, versprüht aber dank der Kneipen-Situation trotzdem zu jeder Zeit reichlich Fußballstimmung.

Heimlicher Star der Sendung ist aber ohne Zweifel Peter Neururer - weniger wegen seiner Pinkelpausen, sondern viel mehr dank seiner direkten Art, die ein echter Gewinn für den "Fantalk" ist. So scheute er sich am Dienstag nicht, den Schalker Trainer Jens Keller lautstark zu kritisieren, als dieser am Ende nicht so einwechselte wie es sich Neururer gewünscht hätte. Und seine Kritik an der Handspiel-Regelung bringt er kurz und knapp auf den Punkt: "Regeln, über die man diskutieren muss, sind Scheiß-Regeln." Das gibt viel Applaus in der Bar, doch viel Zeit zum Diskutieren bleibt freilich nicht, denn die Szenen, die die Fernsehzuschauer nicht sehen können, haben selbstverständlich Vorrang.

Und wenn mal zufällig niemand kommentiert, dann kann der geneigte Fan auf dem Sofa zumindest erahnen, was gerade auf dem Platz geschieht. Laute Schreie, wahlweise des Jubels oder des Entsetzens, tönen immer dann aus dem Publikum, wenn der Ball auch nur in die Nähe eines Tores gerät. Egal welches. Der "Fantalk" ist also tatsächlich in vielerlei Weise ungewöhnlich - schon alleine, weil die Sendung mit so manchen Regeln des Fernsehens bricht. Zu sehen gibt's eigentlich nichts. Dass man mit diesem Nichts allerdings drei Stunden Sendezeit füllen kann, verdient zumindest eine gehörige Portion Respekt. Mittendrin statt nur dabei war einmal. Sport1 beweist: Manchmal ist schon Dabeisein alles.