Was für ein Jahr für Thomas Gottschalk. Noch vor knapp einem Jahr präsentierte er mit "Wetten, dass..?" die erfolgreichste Show im deutschen Fernsehen - und nur wenige Wochen später legte er am Vorabend einen der größten Flops der letzten Jahre hin. Und auch wenn von Beginn nicht jeder begeistert war von dem Vorhaben, Gottschalk eine tägliche Personality-Show ohne Studiopublikum moderieren zu lassen, so war vor dem Start zumindest eine gewisse Euphorie nicht von der Hand zu weisen. Den bisherigen Marktanteil werde Gottschalk verdoppeln, "davon bin ich überzeugt", sagte der damalige MDR-Intendant Udo Reiter wenige Monate bevor "Gottschalk Live", so der Name des Formats, über Wochen hinweg die Schlagzeilen der Medienbranche beherrschen sollte.

Tatsächlich setzte die ARD für ihren prominenten Neuzugang allerlei in Bewegung. Der gerade erst umgebaute Vorabend wurde für Gottschalk noch einmal verändert, doch dass man sich im Vorfeld offenkundig nicht ausreichend viele Gedanken über die Ausrichtung des Formats und die Rolle seines Gastgebers gemacht hat, wurde gleich in der ersten Sendung deutlich. Zwar redete Gottschalk viel, doch zu sagen hatte er wenig. Stattdessen war er mehr damit beschäftigt, pünktlich in die sekundengenau festgelegten Werbepausen abzugeben. Entsprechend deutlich fielen die Kritiken aus. Immerhin stimmten die Quoten: 4,34 Millionen Zuschauer waren neugierig auf das, was Gottschalk in neuer Umgebung präsentieren würde.

Überzeugt waren aber auch sie nicht: Schon am zweiten Tag gingen knapp 1,8 Millionen Zuschauer verloren, der Marktanteil wurde einstellig und sollte auch nie mehr zweistellig werden. Schon bei der vierten Sendung durchbrach "Gottschalk Live" die Marke von zwei Millionen Zuschauern nach unten, zwei Wochen später waren zwischenzeitlich sogar nicht mal mehr eine Million Fans dabei. Und Ende Mai, also kurz vor dem Ende, hielt sich das Format nur knapp über der Marke von 500.000 Zuschauern. Diese Entwicklung war vor allem deshalb bitter, weil Thomas Gottschalk im Vorfeld viel Lust auf das Projekt Vorabend versprühte, auch wenn er immer wieder von der "Todeszone" sprach. "Ich bin wieder scharf auf regelmäßige Arbeit, den Hintern habe ich mir in Malibu jetzt lang genug gewärmt", sagte Gottschalk kurz vor dem Start.

"Ich werde in Berlin leben wie ein Mönch. Ora et labora. Beten um die Quote und ansonsten arbeiten: Work-out, Redaktion, Briefing, Sendung!" Doch ein Scheitern wollte er schon damals nicht ausschließen. "Wenn es nicht klappt, werde ich mich bei der ARD für das Vertrauen bedanken und mich in aller Form für mein Versagen entschuldigen." Er werde nicht die Schuld beim Publikum suchen, sondern sich "ins Exil nach Malibu begeben, bis die Leute mir den Flop verziehen haben. Und wenn man mich hier gar nicht mehr will, bleibe ich eben dort." Doch das Exil übersprang Gottschalk - und heuerte stattdessen überraschend an der Seite von Dieter Bohlen in der "Supertalent"-Jury an. Ein Seitenwechsel, den man angesichts vielfach geäußerter Häme einst kaum für möglich gehalten hätte.

Wirklich glücklich wurde Gottschalk aber auch bei RTL nicht, zumal die Quoten der Castingshow auch noch massiv einbrachen. Doch mit seinem Scheitern am Vorabend war sein "Supertalent"-Ausflug freilich nicht zu vergleichen. Der hatte ganz andere Ausmaße. Schon alleine, weil sich binnen kürzester Zeit gefühlt die komplette ARD zu Wort meldete. Erst recht, als die Werbepreise recht schnell spürbar angepasst werden mussten. Und so dauerte es nicht mal zwei Monate, bis eine Mehrheit der Intendanten angeblich für ein Aus von "Gottschalk Live" votierte. Da half dann auch die Unterstützung durch Markus Peichl nicht mehr, der eigens dafür geholt wurde, um das Ruder doch noch herumzureißen. Doch sämtliche Änderungen am Konzept raubten "Gottschalk Live" schließlich endgültig den letzten Wiedererkennungswert.

Das von Gottschalk höchstselbst eingerichtete Studio mit Blick auf die Hauptstadt wurde durch eine lieblose Talkshow-Kulisse ersetzt, wie man sie von Beckmann, Lanz oder Maischberger kennt. Und das "Live" im Titel stimmte zu diesem Zeitpunkt ohnehin längst nicht mehr. Stattdessen kam es sogar vor, dass man die Sendung lieblos zusammenschnitt, wie im Falle von Schauspieler Bud Spencer. Bemerkt wurde die Schnipsel-OP nur deshalb, weil Gottschalk während ein und derselben Ausgabe an zwei unterschiedlichen Schreibtischen Platz nahm. Das war vermutlich so etwas wie der absolute Tiefpunkt - ganz davon abgesehen, dass "Gottschalk Live" für ein kurzfristig ins Programm genommenes EM-Special sogar noch einen Tag früher endete als zunächst geplant.

Später sagte Thomas Gottschalk im "Focus", man habe nicht das gemacht, was er ursprünglich am Vorabend vorhatte. Sein Fehler sei gewesen, nicht insistiert zu haben. "Ich habe mir die Nummer schön geredet und war wohl auch eloquent genug, das Konzept der ARD schmackhaft zu machen", so Gottschalk. Und in "Bild" gab er zu Protokoll: "Ich habe mich immer eher als Kellner verstanden denn als Koch. Und ich habe die Angewohnheit, meinen Gästen immer das schönzureden, was gerade auf dem Teller liegt. Auch wenn sie es gar nicht bestellt haben. Das ging nun leider schief." Er legte allerdings Wert darauf, dass das Menü nie ungenießbar gewesen sei. "Ich bin auf meinem Krempel sitzen geblieben. Ich bin weder der Erste, dem das passiert ist, noch der Letzte. Und ich bin darüber weder entsetzt noch verzweifelt."