Einmal im Jahr, immer am Banks-Holiday-Wochenende, kommt die britische Medienfachwelt in Schottland zum Edinburgh Television Festival zusammen, dem größten und bedeutendsten Branchenkongress auf der Insel. Kernstück der 1976 aus der Taufe gehobenen Veranstaltung ist die so genannte James MacTaggart Memorial Lecture, in der jeweils eine bedeutende Persönlichkeit der britischen – oder auch internationalen – Medienwelt einen etwa einstündigen Vortrag über Gegenwart und Zukunft des Fernsehens hält. Zu den Rednern gehörten in der Vergangenheit etwa der australische Medienunternehmer Rupert Murdoch, der gefeierte britische Fernsehautor Dennis Potter („The Singing Detective“) und Google-Vorstand Eric Schmidt. Für die diesjährige MacTaggart-Vorlesung trat am vergangenen Donnerstag Elizabeth Murdoch, die Tochter von Rupert Murdoch, welche mit ihrer Firma Shine (u.a. „Merlin“) inzwischen selbst eine international erfolgreiche Produzentin ist, an das Rednerpult in Edinburgh.

Benannt ist die Vorlesung nach dem englischen Schauspieler, Regisseur und Produzenten James MacTaggart, der 1974 im Alter von nur 46 Jahren unerwartet verstorben war. Im Laufe der Jahre hat sich die MacTaggart-Vorlesung zu einem zentralen Ereignis für die Medienbranche – auch über die britischen Landesgrenzen hinaus – entwickelt. Sie ist der Ort, an dem die entscheidenden Debatten der jeweiligen Zeit geführt werden, wie etwa über die Unabhängigkeit der BBC, die Auseinandersetzung zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem kommerziellen Modell der Fernsehproduktion und über die Bedeutung des digitalen Umbruchs für die Medienlandschaft. An ihr entzünden sich Diskussionen, welche die britische TV-Branche häufig das gesamte Jahr über begleiten.

Bestes Beispiel dafür ist der mit großer Leidenschaft geführte Angriff von Rupert Murdochs Sohn James, damals noch Chef von News International, im Jahr 2009 gegen die BBC, mit dem er sich gegen jede staatlich implementierte Einmischung in den Mediensektor wandte und für das Vertrauen auf die Entscheidungen des Individuums eintrat: „In der regulierten Welt des öffentlich-rechtlichen Fernsehens existiert der Konsument nicht. Er oder sie ist eine passive Kreatur, die des Schutzes bedarf. In anderen Teilen der Medienwelt wird er dagegen gerade wegen seiner Freiheit, eine Auswahl treffen zu können, ernst genommen.“ Die Argumente, die Murdoch Junior gegen die BBC anführte, wie etwa die – tatsächliche oder vermeintliche – Maßlosigkeit in ihren Expansionsbestrebungen, fanden große Resonanz in der Politik, die den öffentlich-rechtlichen Sender bei den Gebührenverhandlungen im darauf folgenden Jahr dann auch zu weitreichenden Konzessionen drängte.

Daran konnte auch BBC-Generaldirektor Mark Thompson nichts ändern, der 2010 bei seiner eigenen MacTaggart-Vorlesung eine direkte Erwiderung auf den Angriff von James Murdoch präsentierte – und zugleich eine der wohl überzeugendsten Begründungen für die anhaltende Berechtigung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorlegte: „Dieser gründet auf der Idee eines öffentlichen Raums – in anderen Worten: auf der Überzeugung, dass es einen Ort geben muss, der weder Teil von Staat oder Regierung ist noch allein dem kommerziellen Handel unterliegt. Ein Ort, den jeder frei betreten und darin Kultur, Bildung und Debatte finden kann.“ Thompson verknüpfte diesen Gedanken eines öffentlichen Raums mit dem Glauben an die Möglichkeit einer gemeinsamen Kultur, „welche nicht nach Klasse, Reichtum, geografischer Herkunft oder Identität unterscheidet. Welche die Öffentlichkeit nicht in die attraktiven Haushalte mit hohem Einkommen und den Rest unterteilt. Und welche niemanden auf die falsche Seite einer Verschlüsselungs-Mauer steckt. In der jeder so behandelt wird, dass er den gleichen Wert hat.“

Anders als eine herkömmliche Keynote regt das längere Format einer Vorlesung dazu an, Gedanken auf eine ausführliche und intellektuell tiefschürfende Art und Weise zu entfalten – und Überlegungen anzustellen, die über das Tagesgeschäft hinausreichen. Der Vortragende ist angehalten, seine Einsichten in das Mediengeschäft darzulegen und eine Vision für die Zukunft zu entwickeln. Das Prestige, welches mit einer Einladung zur MacTaggart-Vorlesung einhergeht, sorgt wiederum dafür, dass die Redner diese Verpflichtung auch sehr ernst nehmen.

So erklärte Elizabeth Murdoch am Donnerstag, dass die Einladung nicht nur eine große Ehre, sondern auch ein ganz furchtbarer Stress („a massive pain in the ass“) sei, „weil man dazu unmöglich Nein sagen kann und von der Minute, in der man annimmt, sich darüber den Kopf zerbricht, wie man etwas von Wert und Einsicht sagen kann.“ Und das ist keine Übertreibung. Die Vorlesungen der vergangenen Jahre sind mittlerweile sogar in Buchform gesammelt und kommentiert worden. Nicht zuletzt auch bedingt durch die große Tradition der Veranstaltung und die hohe Aufmerksamkeit in der Branche sehen sich die Redner mit der Herausforderung konfrontiert, etwas wirklich Substantielles zum Mediendiskurs beizutragen.

Genau daraus ergibt sich die Bedeutung der MacTaggart-Vorlesung für das britische Fernsehen: Es zwingt die Branche, oder zumindest jeweils einen herausragenden Vertreter, zu einer gründlichen Reflexion über das eigene Tun in einem größeren, häufig auch gesellschaftlichen Kontext. So forderte beispielsweise Elizabeth Murdoch in ihrer Vorlesung am vergangenen Donnerstag, dass sich die Medien über das Erwirtschaften von Profit hinaus ihrer Aufgabe und Verantwortung bewusst werden müssen: „Wir müssen lernen, damit umzugehen, wie man eine [gesellschaftliche] Aufgabe artikuliert, und die Idee zurückweisen, dass Geld der einzige Maßstab aller Dinge ist, oder dass der freie Markt der einzige Sortiermechanismus ist.“ Damit wandte sie sich auch direkt gegen die Position ihres Bruders James, der vor drei Jahren – noch vor Bekanntwerden des Abhörskandals – erklärt hatte, dass Profit der einzige Garant für publizistische Unabhängigkeit sei. Dazu Elizabeth: „Profit ohne einen [weitergehenden] Daseinszweck ist ein Rezept für Desaster.“

Welche Konsequenzen aus diesen schönen Worten gezogen werden, steht sicherlich noch auf einem anderen Blatt. Trotzdem ist das Reflexionsniveau als solches, welches in der MacTaggart-Vorlesung einen günstigen Nährboden findet, auf jeden Fall schon per se sehr erfreulich. Zu schade, dass sich das Format sehr wahrscheinlich nicht auf einen der deutschen Medienkongresse übertragen lassen wird. Natürlich könnte man eine einstündige Vorlesung einführen. Der Stellenwert, welcher der MacTaggart-Vorlesung in Großbritannien zukommt, verdankt sich jedoch einem historischen Prozess der Bedeutungszunahme, in dem aus qualitativ hochwertigen Beiträgen und dem daraus resultierenden Renommee eine Institution entstanden ist, was sich kaum kopieren lassen wird.