Herr Rott, Herr Baum, Sie haben zusammen mit der Film- und Medienstiftung NRW beim International Emmy Festival für den Standort NRW geworben. Welche Rolle spielt eigentlich der Standort einer Produktion für Sie? Dreht man lieber daheim oder in der Ferne?

Rott: Beides. Ich freue mich natürlich, wenn ich abends nach dem Dreh nach Hause fahren kann, aber ich suche mir die Arbeiten nicht nach Standort aus, sondern nach Inhalt.

Baum: Das ist eine Frage, die vor allem auf die Produzenten abzielt. Für die ist der Drehort noch entscheidender, weil sie eine entsprechende Struktur vorfinden müssen. Für Schauspieler ist immer in erster Linie das Drehbuch ausschlaggebend, der Standort ist nachgeordnet. Natürlich drehen wir aus Abenteuerlust auch gerne im Ausland. Grundsätzlich ist es für mich aber sehr schön, in Nordrhein-Westfalen zu drehen, weil ich auch aus NRW komme und das Land einfach spitze ist.

Bei solchen internationalen TV-Festivals wie hier werden gerne Vergleiche gezogen. Sender und Produzenten sind manchmal neidisch darauf, welche Mittel US-amerikanischen Produktionen zur Verfügung stehen. Ist man als Schauspieler auch neidisch auf den US-Markt?

Baum: Es ist kein Geheimnis, dass der amerikanische Binnenmarkt sehr viel mehr Geld generiert, weil er einfach viel größer ist. Mal von der Tatsche abgesehen, bin ich ein Fan der Herangehensweise der Amerikaner an kreative Stoffe, die für uns Schauspieler ja viel interessanter ist. Gerade im seriellen Bereich ist es gelungen, mit den "Sopranos", "Breaking Bad" oder "The Shield" ganz andere Erzählstrukturen zu finden, die hochqualitativ und hochkomplex sind. Mit der Tiefe und Detailverliebtheit erinnert mich mancher moderne TV-Klassiker an die großen Romane des vergangenen Jahrhunderts, wenn es um inhaltliche Komplexität und kulturellen Wert geht.

Rott: Gerade im Bereich der Serien hat sich im amerikanischen Fernsehen sehr viel getan. In Deutschland wird leider immer noch im Gros darauf geachtet, ob sich etwas schon einmal bewährt hat. Das wird in Amerika nicht gemacht - wenn man sich etwa "Breaking Bad" ansieht, dann ist das die reine Provokation. Alles, was man im prüden Amerika nicht darf und nicht möglich ist, wird gemacht und hat wahnsinnigen Erfolg. Das müsste in Deutschland auch viel mehr so sein. Dominik Graf hat das mit "Im Angesicht des Verbrechens" probiert. Da wurde dann leider gesagt, dass das in Deutschland nicht funktioniert, wie man an den Quoten sehen könne. Aber die Programmierung hat ja auch etwas damit zu tun und es ist nicht das erste Mal, dass eine falsche Programmierung größere Erfolge verhindert hat.

Man merkt, Sie sind auch privat offenbar Serienfans...

Rott: Man wird einfach süchtig, wenn man Serien wie "Breaking Bad" gesehen hat. Darin liegt in Deutschland noch eine ganz große Chance, weil es so etwas bisher noch gar nicht gibt. Früher habe ich als Schauspieler immer gedacht, dass ich keine Serien machen möchte, weil Serie immer "Lindenstraße" oder "Verbotene Liebe" hieß. Das muss ich vollkommen zurücknehmen. Im amerikanischen Sinne heißt Serie nämlich hochqualitativ produzierter Film - wie ein Kinofilm, nur dass die Geschichte in einer komplexen Erzählstruktur immer weitergeht.

Ein anderer Interviewpartner meinte neulich erst, die Sender in den USA geben meist den Auftrag: "Produzier mir etwas, was es noch nie zu sehen gab." In Deutschland heiße es oft: „Produzier mir etwa, was ich schon kenne“...

Baum: Das hat vielleicht sogar etwas mit dieser uramerikanischen Mentalität zu tun - dieser Pioniergeist, unbekanntes Land zu betreten und dabei auch Risiken einzugehen. Diese höhere Risikobereitschaft muss man jedenfalls neidlos festhalten. Neuland zu betreten und etwas zu riskieren: Das ist etwas, was wir uns in Deutschland abschauen können. Nicht auf das Altvertraute zurückzublicken, weil das einschläfernd sein kann. Wir müssen den Mut zum Scheitern haben.

Rott: Das ist richtig, denn es gibt ja in wenigen anderen Ländern einen so ausgeprägten öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie in Deutschland. Und der darf sich nicht allein daran orientieren, was die Masse erreicht. Sie haben einen Auftrag.

Also sind die Öffentlich-Rechtlichen am Zug?

Baum: Die können ruhig noch mutiger und offensiver sein. Aber vielleicht wird das ja noch kommen.

Herr Rott, Herr Baum, herzlichen Dank für das Gespräch