Hans MeiserFernsehkritiker a la Marcel Reich-Ranicki sollten die Lektüre dieses Artikel an dieser Stelle beenden. Denn er beginnt mit einer puren Provokation für solche Pauschal-Nörgler, deren Blutdruck in die Höhe schnellen dürfte, wenn man völlig ernst gemeint die folgende These aufstellt: Erst heute wissen wir wirklich, wie wertvoll und gut die täglichen Talkshows der 90er Jahre waren. Ist das so? Es ist so. Wir sollten Ihnen dankbar sein. Und sie waren sogar gleich auf zweierlei Ebenen ein wichtiger Motor für das deutsche Fernsehen.

Zunächst einmal ist da ein inhaltliches Argument. Das Genre des DailyTalk bot eine Themen-Vielfalt, die man heute beinahe vergessen hat, weil die verbliebenen täglichen Talkshows seit einigen Jahren auf unterstem Niveau nicht viel mehr als Vaterschaftstests in allen Variationen demonstrieren. Doch früher, ja da gab es Abwechslung. Sicher war auch viel Schund dabei. Da hilft es auch nichts wenn jemand wie Jörg Pilawa heute so tut als sei damals alles harmlos gewesen. Aber im Wettbewerb der Themen gab es genügend Alternativen für den Daytime-Fernsehzuschauer.
 

 
Heute dominieren billig produzierte TV-Serien nach immer gleichem Schema die Daytime. Laienschauspieler und schlechte Bücher, Hauptsache schnell und günstig produziert. Vermarktet werden diese LowBudget-Produktionen dann unter dem eindrucksvoll klingenden Namen "Geskriptete Dokusoap". Was für eine absurde Wortschöpfung. Nichts schließt sich mehr aus als die passive Dokumentation von Ereignissen und die Erfindung eben solcher. Doch das Genre kommt beim Publikum derzeit gut an. Deswegen interessiert die Fernsehsender Kritik an diesem Genre gerade herzlich wenig.

Grafik: DWDL.deSollte es aber. Insbesondere RTL. Der TV-Marktführer bei den 14- bis 49-Jährigen will in der nächsten Saison mit einem Nachmittagsprogramm wieder Boden gut machen. Es ist eine der wenigen Baustellen im Programm von RTL-Chefin Anke Schäferkordt. Sie soll mit zwei neuen Billigserien, jenen geskripteten Dokusoaps geschlossen werden. Das ist angesichts des Erfolg des Genres naheliegend, aber langfristig fatal. Denn hier kommen wir zur zweiten Ebene, auf der die Talkshows der 90er Jahre unverzichtbar waren.

Johannes B. Kerner, Jörg Pilawa, Sonja Zietlow, Oliver Geissen - alles heute bekannte Namen, die sich durch ihre eigene tägliche Talkshow in der Branche etabliert haben. Ob man sie persönlich mag oder nicht. Dazu kommt eine ganze Reihe weiterer Namen, die nicht unbedingt in der ersten Liga spielt und doch aus der Fernsehlandschaft nicht mehr weg zu denken sind. Die Talkshows der 90er Jahre - sie waren die Kaderschmiede des deutschen Fernsehens. Und längst nicht nur für das Privatfernsehen.