"Ich hab keine Lust mehr auf Late Night. Es reicht." Deutlicher kann man eine langjährige Beziehung nicht beenden. Und Klaas Heufer-Umlauf hat's in der vergangenen Woche getan: Nach 185 Ausgaben machte der Moderator Schluss mit seiner ProSieben-Show "Late Night Berlin" (LNB) – in einem gerade mal zwölfminütigen Special, für das Szenen aus alten Ausgaben ineinander geschachtelt und mit Sinnsprüchen angereichert wurden (DWDL.de berichtete).
Das war nicht nur ein klarer Schlussstrich. Sondern wirkte wie der Epilog für ein ganzes Genre, dem man erst per Kurzrückblick auf Carson, Letterman, Kimmel, Schmidt, Engelke und Krause huldigte; um anschließend dessen Grundprinzipien infrage zu stellen: "[I]st so ein Format noch zeitgemäß, wenn so vieles daran immer gleich ist: Stand-up, Gäste, Showband, Sidekick?"
Klaas sagt: nein. Und stürmte aus dem Studio, weg vom Gefühl, "dass man sich anfängt zu wiederholen".
Alle müssen dringend sparen
Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Erstens, weil bereits in Aussicht steht, dass am 22. April eine Art Nachfolgeformat auf Sendung gehen wird; die Tickets für die bisherigen LNB-Aufzeichnungen sind jedenfalls schon verkauft. Und zweitens, weil die Repetitionswahrnehmung ein Stück weit eigenverschuldet ist, nachdem man sich schon vor längerem konzeptionell vom eigenen Sendungstitel distanziert hat.
Klar ist nur, dass der plötzliche Abschied zu einem Zeitpunkt kommt, an dem Late Night nicht nur im für das Genre notorisch schwierigen deutschen Fernsehen, sondern weltweit unter Druck steht. In den USA hat NBC vergangenes Jahr beschlossen, seinen Klassiker "The Tonight Show" mit Jimmy Fallon von fünf auf vier neue Episoden pro Woche zu reduzieren. Andere Shows müssen ebenfalls kürzen – Kostendruck und sinkende Zuschauer:innenzahlen zwingen die Sender zum Sparen.
Doch während die US-Shows immerhin ihre tägliche Aktualität bewahren, wird in der deutschen TV-Branche eine noch radikalere Antwort auf die Krise des Formats praktiziert.
Frühlingsanfang schon im Februar
"'Edins Neo Night' ist zurück – größer, aktueller, besser als je zuvor", verkündete Edin Hasanović kürzlich zur Premiere der zweiten Staffel seiner Show, die seit Anfang März bei ZDFneo und in der Media… – äh: im Web-ZDF läuft. Klingt gut. War aber geschwindelt: Sämtliche Episoden wurden bereits im Februar aufgezeichnet.
Deshalb kann Hasanović den Aktualitätsbezug zu den geplanten Ausstrahlungsterminen nur spielen. Mehrere Wochen vor Rosenmontag behauptete er: "Die letzten Tage war ja Karneval hier. Ja, es liegt noch ein Hauch von Erbrochenem in der Luft." Wochen vor dem eigentlichen Datum erklärte er fröhlich: "Wir feiern ja aktuell ein Jubiläum: 5 Jahre Corona." Und geriet vorzeitig ins Schwärmen: "Heute ist Frühlingsanfang, darauf freu ich mich immer wahnsinnig."
Diese zeitlos simulierbaren Jetztbezüge steht in krassem Widerspruch zum eigentlichen Wesen des Genres, das zu einem ganz wesentlichen Teil von zwei Grundprinzipen lebt: der wochentäglichen Erneuerung, die deutschen Produktionen ohnehin nur unter der Ägide Schmidt und Gottschalk vergönnt war. Sowie der Überzeugung, dass das Format eben nicht völlig zeitlos sein darf, wenn es funktionieren soll.
Synergien im "Doppelblock"
Mindestens im Stand-up-Teil muss die Tagesrealität anklopfen können, damit sich der Host über sie lustig machen kann, um sie nachher – als ultimativen Dienst am Publikum – auszuschließen, indem man ihr mit guter Laune, netten Gäst:innen, überraschenden Performances in den Allerwertesten tritt. Das ist der ganze Sinn und Zweck von Late Night, wie sie einmal war.
Dass die Sender dies zunehmend zu umgehen versuchen, ist einfach zu erklären. ZDF-Unterhaltungschef Oliver Heidemann erklärte gegenüber DWDL.de bereits im vergangenen Jahr, dass die inzwischen "extremen Produktionskostensteigerungen" eine "große Herausforderung für uns alle in der Branche" seien. "Dieser Entwicklung müssen wir Rechnung tragen – etwa, indem wir neben einer der regulären Live-Shows auch eine zusätzliche Aufzeichnung produzieren werden, um im Doppelblock Synergien zu schaffen und Produktionskosten zu senken." Bezogen wear das vor allem auf große Shows.
Also stand Giovanni Zarrella für seine ZDF-Samstagabend-Musikrevue Mitte Februar nicht nur einmal live auf der Bühne der Messe Friedrichshafen, um dort Roland Kaiser, Andreas Gabalier, Karat, Revolverheld, und Leony anzusagen. Sondern ein paar Tage später gleich nochmal für eine Bonus-Aufzeichnung mit Inka Bause, Max Giesinger, Alvaro Soler, Joris und den Ten Tenors, die dann später im Jahr läuft. Einmal Kulissenabbau gespart.
Show-Gigant oder "Tatort"-Kommissar?
Für eine Schlagershow mag sich das im wahrsten Sinne des Wortes rechnen; niemand erwartet Tagesaktualität von Beatrice Egli. (Wobei es natürlich auch dabei Risiken gibt.) Bei einer Late Night schlägt das Sparen an dieser Stelle hingegen tiefere Wunden.
Von "Edins Neo Night" wurden dieses Jahr sogar wieder zwei Ausgaben an einem Tag produziert – vielleicht auch, damit Hasanović nachher seinen schauspielerischen Verpflichtungen besser nachkommen kann. Aber eventuell muss man sich dann einfach entscheiden, was man lieber sein will: Late-Night-Gigant oder der hundertste "Tatort"-Kommissar.
Zumal die so verdichtete Produktionsweise auch anderweitig Auswirkungen hat: Der Redaktion bleibt kaum ausreichend Zeit, um aus möglichen Fehlern der Vorwoche zu lernen und Dinge zu ändern, die nicht so wie geplant gelaufen sind. Und Hasanović läuft Gefahr, sich bei einem Aufzeichnungstakt in Daily-Talk-Manier zu erschöpfen.
Von der Gegenwart eingeholt
Der klassische Stand-up wird ohnehin zur ziellosen Plauderei, weil er sich auf zeitlose Themen beschränken muss – was in der aktuellen Zeit noch kurioser wirkt: Seit die zweite "Neo Night"-Staffel im Kasten ist, gab es Bundestagswahlen, Koalitionsverhandlungen, das Schuldenpaket, den Selenskyj-Eklat im Weißen Haus, ein europäisches Umdenken in der Verteidigungspolitik – und da sind wir noch nichtmal bis zur Ankündigung von Natascha Ochsenknecht gekommen, eine eigene Talk-Sendung moderieren zu wollen!
Nichts davon konnte in der Show berücksichtigt werden. Und das lässt sie nicht nur merkwürdig aus der Zeit gefallen aussehen – sondern auch aus ihrem selbst gewählten Genre.
Vor seinem Abschied hat Kollege Klaas schon vor einem Jahr selbst den Finger in die Wunde gelegt. Im DWDL.de Podcast "40 Years On Air" erklärte er, keine Late Night mehr zu machen, sondern einfach Unterhaltung: "Ich brauche niemanden mehr, der mir um 23 Uhr den Tag zusammenfasst oder der mir mit Witzen hilft, die harten Nachrichten des Tages zu verarbeiten. Das habe ich mir über den Tag hinweg schon woanders geholt." Wenn man am Dienstagabend über etwas spreche, das am Sonntag passiert sei, sei dieses Thema in der Regel schon durch.
Das Format wird zerrieben
Ich glaube, das stimmt so nicht – im Gegenteil. Nie waren Hosts, die mir verlässlich das irre Weltgeschehen einordnen und es für mich durch den Kakao ziehen, wichtiger als jetzt. Sie müssen das halt mit einer unabdingbaren Verlässlichkeit tun. Und nicht in ausgewählten Schaltmonaten an einzelnen Dienstagen zu wechselnden Sendezeiten, sofern nicht gerade Sommer- oder Weihnachtspause ist.
"Late Night Berlin" hat in den vergangenen Jahren nicht nur den Vorspann, sondern auch die Aktualität im Stand-up größtenteils über Bord geworfen. Und damit ein Stück weit die eigene Relevanz. Oft merkte man der Sendung ihren Zeitbezug vor allem anhand des beworbenen Materials der eingeladenen Gäst:innen an.
"Edins Neo Night" bleibt nun nicht einmal mehr die Möglichkeit der Wochenaktualität. Stattdessen trifft der grundlegende Wandel des Medienkonsums auf die wirtschaftlichen Zwänge der Produktionswelt – und das Format wird dazwischen zerrieben.
Nicht bis zur Unkenntlichkeit verbiegen
Dabei hat die Show durchaus Qualitäten. Der Host hat sichtlich Spaß an seiner Rolle, die Interviews sind überaus engagiert (Gast Eko Fresh lobte gerade: "Normalerweise wird man im Fernsehen nicht so was mit Tiefgang gefragt"), einzelne Ideen gelungen. Das Problem ist nicht die Show . Es ist das Produktionsmodell, das ihr aufgezwungen wird. Zumal die sporadische Programmierung den Aufbau von Publikumsgewohnheiten aktiv sabotiert.
Linear hat sich diese Schlacht ohnehin erledigt. Und die Idee eines Streamers, regelmäßig aktuelle Late Night zu produzieren, ist mit "Täglich frisch geröstet" bei RTL+ bereits spektakulär gescheitert.
Vielleicht hat Klaas mit seinem Abschied wirklich den richtigen Zeitpunkt erkannt: Die klassische Late Night scheint ihren Zenit überschritten zu haben. Anstatt das Format bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen, wäre es ehrlicher, neue Wege zu gehen. Das ZDF könnte Hasanovićs Show noch viel stärker als Personality-Format mit Talk-Elementen bewerben und ihre Stärken aktiv fördern. Ohne sich an bisherigen Genre-Konventionen zu orientieren.
Denn der Kostendruck wird nicht verschwinden. Aber die Late Night, wie wir sie bisher kannten, ist eigentlich schon längst TV-Geschichte.
Und damit: zurück nach Köln.
"Edins Neo Night" läuft donnerstags gegen 22.45 Uhr in ZDFneo und im Web-ZDF; der LNB-Nachfolger dürfte am 22. April auf ProSieben starten.